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Dein Blut auf meinen Lippen

Dein Blut auf meinen Lippen

Titel: Dein Blut auf meinen Lippen
Autoren: Claudia Gabe
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einschüchtern könnte als ihre Mutter, die für diesen wichtigen Moment eine Pose eingenommen hatte, durch die sie gut zwei Meter groß wirkte. Doch je länger Julia den Fürsten mit seinem weiß-grauen Haar, den sonnengegerbten Wangen und den auffallend blauen Augen betrachtete, desto furchteinflößender wirkte er auf sie.
    An der Seite ihres Vaters betrat sie das Podest und betrachtete nun genauer die rote Militäruniform, die der Fürst trug. Sie ähnelte der seines Stabsoffiziers, war in den Schultern aber schmaler und mit mehr Orden und Medaillen dekoriert. Alles an ihm wirkte respekteinflößend, und für den grimmig dreinblickenden Felix galt das nicht minder, zumal er sein Langschwert so trug, dass jedermann es gut sehen konnte.
    Graf Capulet verbeugte sich vor dem Fürsten, undJulia sank in den tiefsten Hofknicks, zu dem sie fähig war, sodass sich der Rock ihrer Robe aufbauschte, als flöge junges Frühlingslaub im Wind auf.
    "Guten Abend, Fürst Radu. Wir sind hocherfreut, Sie und den ehrenwerten Felix als unsere Gäste begrüßen zu dürfen", sagte Graf Capulet.
    "Vielen Dank." Staunend hob der Fürst die Brauen, als er sah, dass Graf Capulet im Gegensatz zu Julia über dem Fußboden schwebte. "Es freut mich, Gast Ihrer Familie und Ihrer ... wie soll ich sagen? ... Freunde zu sein."
    "Die meisten sind ... Bekannte und, wie ich hoffe, künftige Verbündete." Graf Capulet streckte eine Hand aus und zog seine prächtig gekleidete Frau an seine Seite. "Meine geliebte Frau hat Sie ja bereits am Schlosstor empfangen."
    "Es ist uns eine große Ehre, Fürst", erklärte die Gräfin und sank mit einer einzigen fließenden Bewegung in einen Hofknicks.
    Julia staunte über die Leichtigkeit, mit der sich ihre Mutter wieder aufrichtete, denn ihr Halsband aus schwarzem Onyx war so groß, dass es an die zwanzig Pfund wiegen musste.
    "Darf ich Ihnen unsere liebe Tochter, Julia, vorstellen?", sagte Graf Capulet.
    Julia musste an sich halten, um nicht bitter aufzulachen. Jeder, der ihnen gerade eben zugehört hätte, würde sich fragen, warum ihr Vater sie plötzlich als "lieb" bezeichnete.
    Aber Fürst Radu lächelte ihr freundlich zu und gab ihr galant einen Handkuss.
    "Es ist mir eine große Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Hoheit", sagte Julia.
    "Die Ehre ist ganz meinerseits, junge Dame", erwiderte der Fürst.
    Es wurden noch einige Höflichkeiten ausgetauscht, dann wies Julias Vater mit einer ausladenden Geste auf den Ballsaal.
    "Soll ich Sie ein wenig im Schloss herumführen, ehe ich Ihnen die anderen Gäste vorstelle?", schlug er vor.
    Der Fürst ließ den Blick durch die Große Halle schweifen und bewunderte offenkundig die gotischen Fensterrosetten und die edlen handgeknüpften Wandteppiche, bevor er antwortete: "O ja, sehr gern."
    Graf Capulet setzte sich mit dem Fürsten und dem Stabsoffizier in Bewegung, und Julia spürte, wie ihre Mutter sie unsanft bei der Hand nahm. Sofort durchströmte Kälte ihren Arm und breitete sich bis in ihren Brustkorb aus. Julia war es gewohnt, die Gegenwart ihrer Mutter als anstrengend zu empfinden, aber an diesem Abend hatte sie regelrecht Angst vor ihr.
    "Herr im Himmel, ich dachte schon, sie würden mit dem Geschwätz gar nicht mehr aufhören", erklärte die Gräfin. "Wir haben keine Zeit zu verlieren." Sie zog Julia eilig hinter sich her, die Stufen des Podests hinab.
    Julia versuchte vergeblich, sich dem festen Griff ihrer Mutter zu entwinden. Die Gräfin war fast genauso stark wie ihr Mann.
    "Wohin bringst du mich?", fragte Julia.
    Die Gräfin lächelte geheimnisvoll und entblößte dabei die von Schweineblut geröteten Zähne. "Das wirst du noch früh genug erfahren."

 

    Romeo schob sich die Kapuze seines grauen Umhangs aus der Stirn und blinzelte auf die massive Schlossanlage. Schon das eiserne Tor und die äußeren Mauern hatten eine enorme Höhe, und das Bauwerk dahinter erstreckte sich über eine Breite von gut siebenhundert Metern. An allen vier Ecken wurde es von Türmen überragt, auf denen Wachen mit Pfeil und Bogen patrouillierten. Es war so gewaltig, dass es seine einschüchternde Wirkung auf Romeo nicht verfehlte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es je einem Montague gelungen war, hier einzudringen, geschweige denn, die Bewohner anzugreifen.
    Ein scharfer Wind strich über das dichte Gebüsch außerhalb der Schlossmauern, wo Benvolio, Mercutio und er sich im fahlen Mondlicht versteckt hielten. Obwohl Romeo einen Umhang aus dickem Wollstoff
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