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Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Titel: Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
Autoren: Tami Hoag
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Aufmerksamkeit war auf Mitch gerichtet. Er sah aus, als wäre er durchs Fegefeuer gezischt: Haare zerzaust, offene Jacke, die schief über seine Schultern hing. Ein Ärmel klaffte über dem Bizeps, heraus bluteten Gänsedaunen. Der Streß des Abends hatte sein Gesicht kantiger gemacht, die Schatten verdüstert, die Falten vertieft. Das Bewegendste lag in seinen Augen – Bedauern, Leiden, Empathie. »Du glaubst, Josh ist tot, nicht wahr?« hauchte sie.
    Mitch sank in einen Ohrensessel. Sie hatten alle darum gebetet, daß dieser Fall zu Ende ginge, aber keiner hatte ein Ende wie dieses gewollt, ohne ein Lebenszeichen von Josh, einer ihrer eigenen Nachbarn inhaftiert und Megan im Krankenhaus …
    »Es sieht nicht gut aus, Liebes«, erwiderte er. Hannah kniete zu seinen Füßen und sah zu ihm auf. »Auf dem Laken waren Blutflecken. Wir müssen davon ausgehen, daß das Blut von Josh stammt. Wir brauchen eine Blutprobe von dir und Paul, damit das Labor einen DNS-Vergleich vornehmen kann.«
    »Er ist nicht tot«, flüsterte Hannah. Sie erhob sich langsam, legte die Finger ihrer rechten Hand in die linke Armbeuge. »Sie haben Blut abgenommen«, murmelte sie. »Ich hab ein Pflaster auf seinem Arm gesehen.«
    »Hannah …« Paul wirbelte herum. »Mein Gott, Hannah, gib endlich auf! Er ist tot!«
    Sie begegnete seinem Ausbruch mit eiserner Entschlossenheit, sammelte irgendwo in ihrem Inneren die Kraft dazu. In einem tiefen, verborgenen Winkel ihres Bewußtseins fand sie es seltsam, daß sie ausgerechnet jetzt, angesichts der absolut niederschmetternden Situation diese Gewißheit fand. Den Augenblick der Erkenntnis hatte sie sich in ihren Alpträumen vorgestellt, sich vorgestellt, wie sie in zahllose Scherben zerbrachen. Aber das geschah nicht. Sie würde Josh nicht aufgeben und hatte es endgültig satt, Paul zu ertragen.
    »Er ist nicht tot, und ich hab die Nase voll von deiner Schwarzseherei«, wehrte sie sich gegen ihren ehemaligen Mann, Geliebten und
Freund. »Du bist derjenige, der tot ist – zumindest der Teil von dir, den ich einmal geliebt habe. Ich weiß nicht mehr, wer du bist, aber mir reicht es mit deinen Lügen und deinen Anschuldigungen. Ich hab es satt, mir von dir anhören zu müssen, daß ich schuld an seinem Verlust bin, und anscheinend hast du nur noch den Wunsch, ihn zu beerdigen und hoffst, daß das Fernsehen beim Begräbnis deine Schokoladenseite ausstrahlt!«
    Paul schlug sich mit der Hand an die Brust, als hätte sie ihm ein Messer ins Herz gestoßen. »Wie kannst du mir so etwas sagen?«
    »Weil es die Wahrheit ist!«
    »Ich muß mir das nicht anhören!« Er wandte sich ab von ihr, duckte sich vor der Verachtung in ihren Augen.
    »Nein«, Hannah nahm seine Jacke von der Sofalehne. Sie schleuderte sie ihm an den Kopf, zitternd vor Wut und gegen die Tränen ankämpfend. »Du brauchst mir nicht mehr zuzuhören. Und ich muß deine Launen und dein verletztes männliches Ego und deine kleinkarierte Eifersucht nicht mehr ertragen. Damit ist ein für alle Mal Schluß. Ich bin fertig mit dir.«
    Sie zwang sich ruhig durchzuatmen, in seiner Gegenwart würde sie nicht weinen. Ihre Tränen hob sie auf, für das was sie verloren hatten. Er stand da und drehte die Jacke in seinen Händen. Der Mann, den sie geheiratet hatte, hätte ihr Kontra gegeben, hätte von Liebe gesprochen. Zu schade für sie beide, daß dieser Mann nicht mehr existierte.
    »Du wohnst hier nicht mehr, Paul«, murmelte sie. »Warum gehst du nicht? Ich bin sicher, es treiben sich noch einige Reporter rum, die auf ein paar Worte vom trauernden Vater lauern.«
    Paul wich einen Schritt zurück, ihre Worte trafen ihn wie Hiebe in den Nacken. Ich habe alles verloren. So was kann doch nicht mir passieren …
    Joshs Worte hielten sich hartnäckig in seinem Bewußtsein – Dad, kannst du kommen und mich abholen? Die Schuldgefühle drohten ihn zu ersticken. Er kämpfte dagegen an, versuchte sie zu verdrängen, zu verstecken, spürte ihre Blicke auf sich – Hannahs, Mitch Holts. Konnten sie es sehen? Konnten sie es an ihm riechen wie Schweiß? Er verlor alles – seinen Sohn, seine Ehe, sein Zuhause. Und für den Rest seines Lebens würde er mit dem Geheimnis leben müssen – daß der Mann seiner Mätresse Josh entführt hatte, während er seine Frau betrog.
    Übelkeit und Schwäche ließen ihn erschaudern. »Ich muß hier raus«, stöhnte er.

    Hannah sah ihm nach, hörte, wie die Tür zuschlug und das gedämpfte Geräusch des startenden Wagens. Sie sah
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