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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
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bei der Arbeit. In der Arbeit kann sie sich verstecken wie in einer Höhle. Niemand sieht sie. Lynn putzt nicht nur, sie putzt gründlich. Wo andere Zimmermädchen nichts mehr sehen, fängt es bei Lynn erst an. Der schwache Abdruck auf dem kleinen Holztisch stammt von einer Wasserglasunterseite, ein Abdruck, der nur zu erkennen ist, wenn man sich bückt und ein Auge zusammenkneift: Lynn greift zur Holzpolitur und wischt ihn weg. Schwarze Körnchen in den Ritzen der Fensterbank sind kaum sichtbare Aschereste: Lynn kratzt sie mit dem Messer raus. Ein Fingerabdruck auf einer Kachel in Augenhöhe: Jede andere hätte ihn übersehen. Die Schubladen der Kommoden: Kein Krümel bleibt drinnen. Lynn hat sich die Daumennägel wachsen lassen, um festklebenden Schmutz von den Armaturen entfernen zu können. Die Laken liegen auf den Betten wie frisch gebügelt, die Bettdecken weisen nicht die geringsten Unebenheiten auf, kein noch so kleiner Zipfel lugt aus dem Handtuchstapel. Stühle werden vor Schränke gerückt, Schrankoberflächen entstaubt, Heizungsrippen, Toilettenecken, Raumspray, Lüften, Frischegeruch. In den minimalen Raum zwischen Spiegel und Wand stößt Lynn ein feuchtes Tuch, das sie um die Klinge eines Küchenmessers gewickelt hat, Lampenschirme säubert sie innen und außen, rückt die Tische weg und saugt platt gedrückte Teppichstellen.
    Oft bleibt Lynn bis um fünf, sechs, zieht den Arbeitstag freiwillig in die Länge, will nicht nach Hause, sucht Arbeit und findet sie, Aufzüge, lange Flurfluchten, das Innere der Blumenvasen. Überstunden sind nicht vorgesehen, werden weder ausbezahlt noch kann Lynn sie abfeiern irgendwann. Es ist ihre eigene Zeit. Aber niemand hindert sie daran. Heinz denkt, sie will es uns beweisen, will zeigen, dass sie eine Gute ist, will ihre Probezeit nicht nur einfach überstehen, sondern mit Auszeichnung. Aber auch nach drei Monaten ändert sich nichts. Im Gegenteil. Lynn arbeitet bis um sieben, manchmal bis um acht. Geht durch die Hotelküche, den Frühstücksraum, die Rezeption, die Werkstatt, die Wäscherei, findet überall Dinge, die nicht in Ordnung sind, putzt auch Zimmer, die leer stehen, denn auch leer stehende Zimmer verstauben, denkt Lynn, auch dort schlägt sie die Bettdecken auf. Niemand gebietet ihr Einhalt. Man lässt sie machen. Und bald schon verschwindet Lynn hinter den Dingen des Hotels, fällt nicht mehr auf, es ist, als gehöre sie unsichtbar dazu, ein Inventar, das sich ab und zu kaum wahrnehmbar bewegt, ein Geist, der kommt und geht und kommt, wie er will, ein Heinzelmännchen, das im Vorbeigehen arbeitet. Etwas fällt zu Boden: Lynn ist da, es aufzuheben. Eine Zeitschrift in der Lounge: Sie liegt nicht lange dort. Schmutziger Fußabtritt eines Gasts, der aus dem Regen kommt: Ehe der Empfangschef sich kümmern kann, ist er schon weggewischt.
    Aber die meiste Zeit verbringt Lynn in den Zimmern. Und dort ist es die Anwesenheit der Dinge, die Aufdringlichkeit der Dinge, die alles bedeckende Gegenwart der Dinge, die sich über Lynn spannt wie ein Tuch. Eine liegen gelassene Zahnbürste? Der Gast muss eine neue kaufen. Ein billiges Deodorant? Legt kaum Wert auf Körperpflege. Rasurhaare im Waschbecken? Zeichen von Achtlosigkeit. Monatsbinde im Kulturbeutelchen? Ein leichter Geschmack von Bauchschmerzen in der Luft. Eine Herrenuhr auf dem Nachttisch? Der Mann wird unterwegs nach der Zeit fragen müssen. Lynn nimmt die Uhr vom Tisch, wischt den Staub weg, aber sie legt die Uhr zurück, so, wie sie dagelegen ist. Wasserpunkte auf dem Spiegel? Die Frau hat vorm Föhnen ihren Kopf geschüttelt. Eine angebrochene Packung Dunhill-Zigaretten auf dem Nachttisch? Lynn zündet sich eine eigene Zigarette an, auf keinen Fall eine fremde, nur die eigene, aber sie atmet auf, wenn sie ein verrauchtes Zimmer betritt, dann kann sie in der Putzpause rauchend am offenen Fenster stehen, es wird niemandem auffallen, Rauch vermischt sich mit Rauch, sie hat noch nie von einem Menschen gehört, der Dunhill-Zigarettenrauch von Marlboro-Zigarettenrauch unterscheiden könnte.

3
    I mmer öfter kehrt Lynn zurück in die Zimmer. Nicht in die Abreisezimmer, nein, in die Bleibezimmer: Wenn sie zu wissen glaubt, dass ihre Bewohner unterwegs sind, nicht zurückkommen, ehe die Nacht einbricht. Und Lynn schnuppert. Wie riecht der Mann, der hier wohnt? Riecht er nach Lavendel? Stinkt der Schlafanzug nach Schweiß? Mit welchem Waschmittel hat man die Wäsche im Koffer gewaschen? Pfirsich? Veilchen?
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