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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus
Autoren: Judith Lennox
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ich deshalb nach London gefahren und habe mir irgendwelche Tabletten besorgt. Du weißt schon – ›Gegen Frauenleiden‹, wie es so schön heißt.«
    »Die wirken überhaupt nicht. Ich habe in der Klinik Frauen genug erlebt, die es mit solchen Tabletten versucht haben und dann doch zur Stricknadel oder zu Karbolseife gegriffen haben.«
    Maia schauderte. »Das hätte ich nie fertiggebracht. Na ja, als die elenden Tabletten nicht wirkten, habe ich mir eine Adresse beschafft. Es war nicht einfach – ich getraute mich nicht, jemanden zu fragen, den ich kannte, weil das natürlich sofort Verdacht erweckt hätte. Ich meine, die haben mich doch alle als trauernde Witwe gesehen. Schließlich habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und das Zimmermädchen in dem Hotel gefragt, in dem ich wohnte – ich sagte, es ginge um eine Freundin von mir, aber sie hat mir bestimmt nicht geglaubt. Ich bin dann bei einem gräßlichen Arzt in einem völlig heruntergekommenen kleinen Haus gelandet. Er hatte feuchte Hände, und sein Anzug war abgewetzt. Er lehnte ab – er sagte, die Schwangerschaft sei schon zu weit fortgeschritten.«
    Maia schenkte zwei Tassen Tee ein und gab eine Robin. »Ich hatte sowieso vorgehabt, auf den Kontinent zu fahren. Ich dachte wahrscheinlich, wenn ich es einfach nicht beachte, würde es schon wieder weggehen. Um ehrlich zu sein, ich hoffte, ich würde eine Fehlgeburt haben – daß es sich lösen würde, wenn ich wie eine Verrückte durch Europa ratterte. Als mir dann klar wurde, daß ich um eine Entbindung nicht herumkommen würde, dachte ich mir, ich würde mir in der Schweiz irgendeine diskrete Klinik suchen und das Kind dann zur Adoption freigeben. Aber das hat nicht geklappt.«
    Robin trank einen Schluck Tee. Zum erstenmal an diesem Tag war ihr wieder richtig warm. Sie hatte, während sie Maia zugehört hatte, den Eindruck gewonnen, daß diese beinahe erleichtert war, ihr Geheimnis endlich mit einem anderen teilen zu können.
    Keine Spur der gewohnten Schnippischkeit war in Maias Stimme, als sie weitersprach. »Ich hatte mir einen Wagen gekauft – ich fand das unheimlich aufregend. Erst bin ich in Frankreich herumgekurvt – allein die meiste Zeit –, dann bin ich nach Spanien weitergefahren. Ich war überzeugt, daß das Kind vorläufig nicht kommen würde – sogar ich wußte, daß es im allgemeinen neun Monate dauert. Ich fühlte mich zu der Zeit sehr wohl, und man sah mir die Schwangerschaft fast nicht an. Man trug damals ja zum Glück noch die losen Kleider. Außerdem habe ich immer Korsetts angezogen. Ich hab wahrscheinlich nur ein bißchen rundlich ausgesehen. Aber dann setzten mitten in Spanien die Wehen ein. Ich war irgendwo draußen auf dem Land, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, da gingen plötzlich diese fürchterlichen Schmerzen los. Ich dachte, ich würde sterben, dabei war das erst der Anfang. Ich konnte es nicht fassen, daß Frauen solche Qualen ertragen sollten, und ich konnte mir schon überhaupt nicht vorstellen, daß es welche gibt, die das freiwillig mehrmals über sich ergehen lassen.« Sie sah Robin an.
    »Bei den ersten Kindern ist es meistens am schlimmsten. Und ich habe gehört, man vergißt das alles ziemlich schnell.«
    Maia schüttelte den Kopf. »Ich habe es nicht vergessen. Ich erinnere mich an jeden einzelnen Moment. Na jedenfalls – ich landete schließlich in irgendeinem gottverlassenen Dorf, und da brachten sie mich in ein Kloster. Das gehörte anscheinend dort zu den Aufgaben der Nonnen, die Kranken zu pflegen.«
    »Ja, das ist dort auf dem Land Tradition. In dem Feldlazarett, in dem ich gearbeitet habe, haben wir Mädchen aus dem Ort angelernt, weil die meisten Nonnen natürlich die Nationalisten gepflegt haben.«
    Maia stellte ihre Teetasse nieder. »Sie waren sehr gut zu mir, obwohl ich natürlich kein Wort verstanden habe. Eine sprach etwas Französisch, aber mir ging es so schlecht, daß ich mich kaum an mein Französisch erinnern konnte. Ich lag zwei Tage in den Wehen.« Sie lächelte, aber in ihren Augen spiegelte sich der erinnerte Schmerz. »Mein einziger Trost war die ganze Zeit die Gewißheit, daß das Kind tot zur Welt kommen würde.«
    »Aber so war es nicht«, sagte Robin leise.
    »Nein. Sie war nur halb tot, das arme kleine Ding. Sie gaben ihr sofort die Nottaufe – sie nannten sie Maria, weil sie überzeugt waren, daß sie in ein paar Stunden bei der Muttergottes sein würde. Ich war todkrank – ich hatte hohes Fieber. Ich blutete
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