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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren
Autoren: Wolf Haas
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kann.
    Literaturbeilage Das fand ich dann allerdings schon etwas too much, wie Sie diesen zarten Hals beschreiben.
    Wolf Haas Das fanden Sie aber höchstens deshalb übertrieben, weil ich's untertrieben habe. Annis Hals ist ja wirklich - also, das musste ich ja sowieso reduzieren, da hab ich gestrichen und gestrichen, damit's nicht zu arg wirkt. Aber wenn man's reduziert, wirkt's dann oft erst recht wie schlecht erfunden.
    Literaturbeilage Alte Bauernregel.
    Wolf Haas Genau. Und es war ja nicht nur ihr Hals. Ihr langes, gebauschtes Kleid ist so ins Blumenmeer eingesunken, dass man nicht anders konnte, als an einen zit-ronenfalterfarbenen Schwan zu denken.
    Literaturbeilage Na gut, das versteh ich, dass Sie wenigstens das „zitronenfalterfarben" weggelassen haben. Das wäre wohl doch etwas over the top gewesen. Wolf Haas Also mich hätte es wirklich nicht gewundert, wenn dieser Schwan, während der Pfarrer in seinem dicken Buch blätterte und blätterte, in aller Stille elegant davongeschwommen wäre. Davongetrieben, muss ich sagen. Man sieht Schwäne ja nicht richtig schwimmen, sie treiben so elegant über die Wasseroberfläche.
    Literaturbeilage Wie Luftmatratzen.
    Wolf Haas Eher wie Segelschiffe. Wie Segelschiffe in der Nacht. Oder wie Bräute im Blumenmeer.
    Literaturbeilage Nun wie auch immer. Anni trieb jedenfalls nicht über das Blütenmeer auf dem Kürchenboden davon, sie lauschte andächtig den Worten des Pfarrers, als der aus seinem großen goldenen Buch vorzulesen begann.
    Wolf Haas Der Pfarrer hat gelesen: „Wer etwas gegen
    diese Verbindung einzuwenden hat, der spreche jetzt, oder er schweige für immer."
    Literaturbeilage Korrigieren Sie mich, wenn ich da falsch informiert bin. Aber das gehört doch eigentlich nicht zum katholischen Hochzeitsritus in unseren Breiten. Das kennt man doch eher aus amerikanischen Filmen und so.
    Wolf Haas Ja eben. Er hat es auch nicht aus seinem goldenen Buch vorgelesen, sondern da hat er sich eigens ein Post-it mit dem ungewohnten Text hineingeklebt.
    Literaturbeilage Ach darum hat er so lange geblättert. Er hat das zitronenfalterfarbene Post-it gesucht.
    Wolf Haas Genau. Das schwere Buch hat das Post-it absorbiert sozusagen. Er hat es eine Ewigkeit nicht gefunden.
    Literaturbeilage Ein kleiner Kultur-Clash.
    Wolf Haas Anni hat das einfach - genau wie Sie und ich - aus tausend amerikanischen Filmen gekannt. Die hat das dem Pfarrer aufs Aug gedrückt, dass der das eben bei ihrer Hochzeit auch macht.
    Literaturbeilage Ein Glück für Vittorio. Sonst wäre ja schon längst alles zu spät gewesen.
    Wolf Haas Das war sein Glück. Ich bin bestimmt alles andere als esoterisch, also Telepathie und solche Sachen. Damit können Sie mich jagen. Aber dass der Pfarrer zuerst so lange geblättert und dann auch noch so lange gezögert hat -
    Literaturbeilage Sie sind in diesem Monat schon der Dritte, der zu mir den Satz sagt: „Ich bin bestimmt nicht esoterisch, aber."
    Wolf Haas Ja. So ist das mit den seltsamen Zufällen. Man hätte dann eben doch gern, dass irgendetwas Sinnhaftes oder Zeichenhaftes damit verbunden ist.
    Literaturbeilage Diesem langen Zögern des Pfarrers widmen Sie in Ihrem Buch ja mehrere Seiten.
    Wolf Haas Es war wirklich unerträglich. Ich bin selber ganz nervös geworden. Wahrscheinlich war es ja nur die übliche Pfarrer-Langsamkeit.
    Literaturbeilage Es liest sich fast so, als wollte er mit seinem langen Zögern erzwingen, dass jemand Einspruch erhebt.
    Wolf Haas Vielleicht hat er ja nur nicht weitergewusst. Weil es für ihn eine ungewohnte Passage war.
    Literaturbeilage In Ihrem Roman hat man eher das Gefühl, er ahnt was. Oder er weiß vielleicht sogar, aus einer Beichte oder so, dass Anni den Falschen heiratet. Er stellt seine Frage und blickt viel zu lange in die Runde.
    Wolf Haas Ja, der hat seinen Blick schweifen lassen, als müsste er jedem Einzelnen der Hochzeitsgäste prüfend in die Seele schauen.
    Literaturbeilage Ich weiß nicht, ob ich Ihnen diese Frage stellen darf. Falls es zu persönlich ist, lassen wir sie weg.
    Wolf Haas Fragen Sie einfach.
    Literaturbeilage Beim zweiten Mal Lesen hat sich bei mir der Verdacht geregt, dass Sie genau an dieser Stelle die Kürche verlassen haben.
    Wolf Haas Ich?
    Literaturbeilage Nicht?
    Wolf Haas Doch. Aber das war jetzt nicht wegen der Frage des Pfarrers. Ich hatte ja nichts gegen die Verbindung von Anni und Lukki einzuwenden.
    Literaturbeilage Abgesehen davon, dass Männer grundsätzlich was dagegen haben,
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