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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren
Autoren: Wolf Haas
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wenn eine attraktive Frau einen anderen heiratet.
    Wolf Haas Hinten, wo ich gestanden bin, sind ja die Leute andauernd aus und ein gegangen, die Raucher, die Schwätzer und so weiter. Und mir ist einfach die unbehagliche Stimmung in der Kirche zu viel geworden, wie der Pfarrer da sagt: „Wer etwas gegen diese Verbindung hat, der spreche jetzt, oder er schweige für immer", und dann tut der nicht weiter. Ich finde so was unerträglich! Der schaut und schaut, da war ich bestimmt nicht der Einzige, der Beklemmungen gekriegt hat.
    Literaturbeilage Ja.
    Wolf Haas Aber wie haben Sie das erraten, dass ich da rausgegangen bin?
    Literaturbeilage Das war nicht schwierig. Sie beschreiben die Szene genau in dieser Bewegung. „ Wer etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, sprach der Pfarrer so laut, dass es durch die ganze Kürche und noch auf den Vorplatz hinaus schallte." Hier geht die Erzählung erstmals hinaus ins Freie.
    Wolf Haas Stimmt. Wenn ich mit so genauen Lesern rechnen würde, könnte ich kein Wort mehr schreiben.
    Literaturbeilage Na, so schwer war das nicht zu erraten. Sie beschreiben das ja sehr detailgenau. Was es da in diesem Portalbereich zu sehen gibt. Die zwei steinernen
    Heiligenfiguren links und rechts am Portal, hinter denen die Lautsprecher versteckt sind, die das Zeremoniell auch nach außen übertragen. Damit auch die vielen Zaungäste die in Ihrem Roman wieder und wieder gestellte Frage des Pfarrers hören.
    Wolf Haas Aber das wird schon klar, dass er die Frage nur ein einziges Mal stellt.
    Literaturbeilage Er stellt die Frage nur einmal. Aber der Text umkreist die einmalige Frage immer wieder von Neuem.
    Wolf Haas Komisch, ich hab im Buch auch immer geschrieben, „die Frage" des Pfarrers. Und erst jetzt, wo Sie das sagen, fällt mir auf, dass es eigentlich keine Frage ist: „Wer etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, der spreche jetzt, oder er schweige für immer" ist ja streng genommen keine Frage, sondern eher -
    Literaturbeilage - eine Aufforderung.
    Wolf Haas Ja, eine Mischung aus Aufforderung und Mahnung oder so. Eigentlich ist es ja mehr ein Schweigegebot. Wer jetzt nichts sagt, soll auch in Zukunft das Maul halten. Aber man empfindet's doch irgendwie als Frage: Ist zufällig jemand da, der was einzuwenden hat? Ich zumindest hab's in der Situation so empfunden. Also wirklich eine peinliche Frage einfach. Fast wie bei Aktenzeichen XY, wo man das Gefühl hat, man wird gefragt, verbirgt sich zufällig in deiner Familie oder in deinem Freundeskreis dieser flüchtige Massenmörder?
    Literaturbeilage Aktenzeichen XY hat's Ihnen angetan.
    Wolf Haas Es ist mir jetzt nur wegen der Strenge eingefallen. Aktenzeichen XY hat auch immer so eine Strenge gehabt. Also so einen stimmlichen Ernst sozusagen.
    Literaturbeilage Was Inquisitorisches.
    Wolf Haas Und die Stimme des Pfarrers hatte jetzt eben auch etwas Einschüchterndes. Und im Freien draußen hat es fast noch stärker gewirkt. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass in dieser alpinen Region die Kirchen mitten im Friedhof stehen. Oder der Friedhof ist rund um die Kirche, je nach Standpunkt. Jedenfalls sind die Leute auf dem Friedhof draußen bei Hochzeiten fast in einer besseren Position. Auch für nachher, wenn dann das Brautpaar herauskommt, Reis streuen und so weiter.
    Literaturbeilage So ähnlich wie die eingefleischten Stehplatzbesucher in der Oper.
    Wolf Haas Die Leute drinnen in der Kirche sind fast die Abgeschobenen, die Vorhut, die ein bisschen weg vom Fenster ist. Am Friedhof draußen findet die Kommunikation statt. Und durch die Lautsprecher hört man den Pfarrer genauso gut wie drinnen. Höchstens ein bisschen hohl ist die Stimme hinter den Heiligenfiguren links und rechts vom Portal herausgekommen: Wer etwas gegen die heilige Verbindung von Anni und Lukki einzuwenden hat, der spreche jetzt, oder er schweige für immer.
    Literaturbeilage Und natürlich schwiegen alle.
    Wolf Haas Alle haben geschwiegen. Das Einzige, was man gehört hat, waren die Schluchzer aus den vorderen Bankreihen. Also Annis Mutter, die ja als Einzige der vier Eltern noch am Leben war, und die Tanten und Cousinen, die haben eben ein bisschen vor sich hin geschluchzt. Und weil die ganz vorne gesessen sind, hat sich das auch durchs Mikrofon nach draußen übertragen.
    Literaturbeilage Bei Hochzeiten wird ja immer viel geweint. Manchmal hab ich den Eindruck, mehr als bei Begräbnissen.
    Wolf Haas Wobei die Gründe nicht immer ganz klar sind. Wahrscheinlich eine
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