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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren
Autoren: Wolf Haas
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Mischung von Gründen. Darum nennt man's auch „Rührung".
    Literaturbeilage Kalauerfreie Zone. Im Buch schreiben Sie allerdings schon: „Vielleicht galt die eine oder andere der vergossenen Tränen auch der Tatsache, dass Anni dabei war, den falschen Mann zu heiraten."
    Wolf Haas Ja. Ich glaub allerdings, das ist mehr Wunschdenken des Autors. Dass der Wettkandidat Kowalski da seine heimlichen Sympathisanten gehabt hätte oder so. Die Wahrheit liegt sicher näher bei Ihrer lakonischen Bemerkung: Es wird einfach immer viel geweint bei Hochzeiten.
    Literaturbeilage Und den falschen Mann heiratet man auch immer.
    Wolf Haas (lacht) Das haben Sie gesagt!
    Literaturbeilage Am meisten hätte mich ja interessiert, was Anni selbst in diesem Moment über ihre Entscheidung dachte. Sie erzählt Vittorio zwar schon am ersten Tag im Hotel Schwalbenwandblick, dass sie sich in den Schlaf geweint habe, nachdem sie ihn im Fernsehen gesehen hat. Aber nach dieser Nacht scheint sie sich doch entschieden zu haben. Siehe Kleidvorführung.
    Wolf Haas „Kleidvorführung" ist schön. Da bleibt offen, wer vorgeführt wurde. Das Kleid oder Vittorio.
    Literaturbeilage Das Thema hatten wir schon. Wie Anni sich bei der Hochzeit selbst fühlte, das wird ür-gendwie nicht ganz klar. Sie schreiben, es sei nicht ganz sicher gewesen, ob auch die Braut weinte.
    Wolf Haas Man hat sie ja nur von hinten gesehen. Eigentlich bin ich genau an der Stelle aus der Kirche hinaus. Als ihre Schultern zu beben anfingen. Da bin ich hinaus.
    Literaturbeilage Sie können eine Frau nicht weinen sehen.
    Wolf Haas Haha. Ich gebe ja zu, dass da eine gewisse Romantik mitschwingt, also der Wunsch, dass jemand, wenn es schon sein muss, aus Verliebtheit heiratet. Und dass die Braut nicht denkt, was soll's, es ist sowieso der Falsche, wie Sie das gerade so schön gesagt haben, Hauptsache, er hat ein Hotel, und so weiter.
    Literaturbeilage Das ist Ihnen zu unromantisch.
    Wolf Haas Also ein Liebesroman ist einfach schwer zu schreiben, wenn man den Personen nicht eine gewisse Romantik lässt.
    Literaturbeilage Frauen müssen weinen, damit's romantisch ist?
    Wolf Haas Ich bin mir ja bis heute noch nicht sicher, ob Anni überhaupt geweint hat.
    Literaturbeilage Sie schreiben, außer dem Schluchzen aus den vordersten Bankreihen hörte man nichts, während der Pfarrer eine Ewigkeit lang sein Schweigen über den Hochzeitsgästen lasten ließ.
    Wolf Haas Na ja, draußen war natürlich alles Mögliche zu hören. In der Ferne vorbeifahrende Autos, Fahrradklingeln, Vögel und so weiter. Aber - mir geht es da ja nicht um eine realistische Tonkulisse oder so. Also das wird immer gleich so impressionistisch, wenn man da Hundegebell oder brummende Flugzeuge erwähnt. Mir ging es an der Stelle einfach um das Schweigen der Leute auf die Frage des Pfarrers.
    Literaturbeilage Auf die Frage, die keine Frage war.
    Wolf Haas Keiner hat den Mund aufgemacht. Niemand sagt: Aber die Anni liebt doch einen anderen, oder irgend so was. Nur Schweigen eben.
    Literaturbeilage Und Räuspern.
    Wolf Haas Das Räuspern war gar nicht so arg. Das hab ich ein bisschen übertrieben. Ich liebe ja das Räuspern, also wenn in so einem Raum, wo viele Leute drin sind, das Räuspern losgeht. Das Ansteckende und so. Also dieses Vorstadium von Sprache sozusagen, diese halb körperliche, halb aber doch schon bedeutungsvolle Äußerung.
    Literaturbeilage Es heißt: „Das Einzige, was man als Antwort auf die Frage des Pfarrers hörte, war ein zuerst nur vereinzeltes, dann aber doch häufiger und lauter werdendes Räuspern. Aber keineswegs ein Räuspern, wie es einem schwer zu unterdrückenden Einwand entspringt, oder gar ein Räuspern, das den Auftakt zu einer öffentlichen Wortmeldung vor der schweigenden Gemeinde bildet, sondern nur das betretene Räuspern, das einer Menschengruppe entschlüpft, die mit einem stillen Moment überfordert wird."
    Wolf Haas Ja, genau so war es.
    Literaturbeilage Übertrug sich das Räuspern eigentlich auch nach draußen auf den Friedhof?
    Wolf Haas Teilweise schon. Ich glaub, Räuspern und Hüsteln hat auch so eine Frequenz, die sich besonders gut überträgt. Man hört das ja auch am Handy oft überdeutlich, wenn sich jemand in der Nähe räuspert oder so.
    Literaturbeilage Das kann ich eigentlich nicht bestätigen. Bei meinem Handy sind die lautesten Hintergrundgeräusche vor allem Kindergeschrei und so schrille Sachen.
    Wolf Haas Ja stimmt eigentlich. Wahrscheinlich war es mehr spürbar
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