Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin
Autoren: Steven Knight
Vom Netzwerk:
Beine stellte. Und was schlimmer war: Ich wusste nicht, ob ich sie tatsächlich machen wollte. Die Dinge waren so schnell passiert, dass mein Verstand kaum mitkam. Egil raunte mir zu, ich müsse einfach nur den einen Fuß vor den andern setzen und bald wäre ich frei.
    »Frei wofür?«, keuchte ich, während ich gegen die Tür des Besenschranks stolperte.
    »Frei, alles zu tun«, sagte er. »Statt nichts .«
    Ich drehte mich nach Egil um und der Blick seiner grünen Augen beruhigte mich. Shipley und ich hatten zusammen viele Abenteuer erlebt und immer waren wir als Sieger aus ihnen hervorgegangen. Warum sollte es diesmal anders sein?
    Allmählich ging es mit dem Laufen besser und ich näherte mich dem mondbeschienenen Fenster. Trotzdem konnte ich die Angst, jeden Moment zu stürzen und aufs Gesicht zu fallen, nicht so schnell überwinden. Ich hielt mich an Egils Arm fest, aber er versicherte mir immer wieder, dass ich seine Unterstützung nicht mehr brauche. Als wir das Fenster erreicht hatten, sagte er, ich solle einen Augenblick stehen bleiben und das Mondlicht in mich aufnehmen.
    »Wozu soll das gut sein?«, fragte ich.
    »Mondlicht macht alles leicht und geschmeidig, sogar für Menschen«, sagte Egil, als wäre das die einleuchtendste Sache der Welt. »Bei Vollmond können sich die Dinge leichter verwandeln. Jetzt nimm ein paar tiefe Atemzüge und dann lass uns weitergehen.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, doch während ich mich am Fensterrahmen abstützte und tief einatmete, spürte ich meinen Körper mit jedem Atemzug kräftiger werden. Egil schien zufrieden mit meinem Fortschritt.
    »Die Kraft des Mondes wirkt in dir wie eine unsichtbare Lunge«, sagte er und klopfte gegen meine Brust. »Wir werden große Abenteuer erleben.«
    Die Erwähnung von Abenteuern ließ wieder Zweifel in mir aufkommen, und während wir so am Fenster standen, wurde ich von der Vernunft eingeholt.
    »Was für Abenteuer?«, fragte ich. »Und wenn dein Großvater Arzt ist, wie du behauptest, warum stehlen wir uns dann so von hier weg?«
    Draußen schlug die Kirchenuhr drei Uhr morgens. Egil holte tief Luft, es fiel ihm sichtlich schwer, Worte zu finden. Als er schließlich sprach, war alle jugendliche Unbekümmertheit aus seiner Stimme verschwunden und sie klang fast verängstigt.
    »Toby Walsgrove, du hast ein großes Vermögen geerbt«, sagte er. »Mein Großvater ist nicht nur Arzt, sondern auch der Vollstrecker eines Testaments, und er hat mir eingeschärft, dass ich dich zu einer bestimmten Stunde an einen bestimmten Ort bringen muss, damit du anwesend bist, wenn dieses Testament verlesen wird.«
    In diesem Augenblick hörten wir in einem der entfernteren Gänge das Klatschen von Schwester Ubos Pantoffeln. Drei Uhr – Zeit für die Morgengebete. Das Geräusch der Schritte erschreckte Egil, und so legte er, statt weitere Erklärungen abzugeben, die Hand auf meine Schulter und blickte mir tief in die Augen.
    »Toby, wenn du wirklich absolut nicht mit mir gehen magst, dann ziehe ich jetzt meine Kraft aus deinem Körper zurück. Auf der Stelle. Dann werden sie dich wieder in deinen Rollstuhl bringen, du wirst für den Rest deines Lebens darin sitzen und nie mehr einen Muskel rühren. Wenn du dich aber jetzt dafür entscheidest, mit mir zu gehen, wirst du rennen, tanzen, kämpfen und fallen, du wirst dich anstrengen und tausend Dinge erleben.«
    Die Schritte verklangen, aber bald würden weitere folgen. Ich dachte an den pappigen Brei, an die Langeweile und an die Schwalben, die mich jedes Jahr im Herbst verließen. Einen Moment blieben meine Gedanken bei der guten Schwester Mary hängen. Aber gegen die jähe Freude, dass ich aufrecht auf meinen eigenen Beinen stand, kam nicht einmal meine Liebe zu ihr an.
    »Toby? Es wird Zeit, dass du dich entscheidest!«, flüsterte Egil.

3. Kapitel
    D raußen in der kalten Nachtluft torkelte ich ungeschickt über den Gehweg, stieß gegen Mauern und fiel seitwärts in Hecken – wacklig wie ein neugeborenes Reh. Ich hatte nur meinen Baumwollschlafanzug an und einen Morgenmantel mit Zickzack- und Sternenmuster, aber im Augenblick spürte ich die Kälte nicht. Egil verfolgte meine Vorstellung mit prustendem Gelächter, das sich fast wie das Schreien einer Eule anhörte. Ich schurrte an einem parkenden Auto vorbei und löste dabei die Alarmanlage aus.
    »Toby, auch wenn es langweilig ist, aber du musst dich wirklich bemühen, einen Fuß vor den andern zu setzen. Und zwar abwechselnd«, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher