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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Joël Tan
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übernehmen – danach war der Friede in ihr Herz zurückgekehrt. Fast war es ihr, als ob sie nun genug in ihrem Leben gelitten und Gott endlich ein Einsehen mit ihr hatte.
    »Mutter, kommst du? Wir sind soweit.«
    Ragnhild blickte über ihre Schulter in Runas Gesicht. »Ja, ich komme gleich. Geh schon vor.«
    »Soll ich dich nicht stützen?«
    »Nein, nein. Lass mich noch kurz allein.«
    »Gut, Mutter.« Runa verschwand.
    Ragnhild wandte sich ein letztes Mal dem Wasser zu. Sie hob ihre Hand und schaute auf einen bestimmten ihrer Finger. Er war noch immer ganz rot. Lange hatte sie des Morgens gebraucht, um den goldenen Ring herunterzubekommen. Doch sie hatte es geschafft, und nun lag er neben dem von Albert in ihrer hohlen Hand. Der Tag, an dem er und sie jene Ringe ausgetauscht hatten, war Ragnhild noch so bildlich vor Augen, dass sie die Schmuckstücke nie wieder brauchen würde, um sich an ihre große Liebe zu erinnern.
    Ragnhild wusste, dass sie nicht mehr lebend nach Hamburg zurückkehren würde. Sie wollte das Einzige, was sie von Albert noch besaß, nicht an einen fremden Ort mitnehmen, um dort damit begraben zu werden. Die Ringe sollten hierbleiben – hier in Hamburg – wo ihre Liebe begonnen hatte. Fest schloss sie die Faust um das Gold und hauchte einen Kuss darauf. Dann sagte sie: »Bald komme ich zu dir, Albert. Aber vorher werde ich noch ein paar Jahre in Frieden mit unseren Lieben verbringen. Ich kann sie noch nicht alleine lassen. Das wirst du sicher verstehen.« Darauf warf sie die Ringe in das Fleet. Ein leises Aufplätschern des Wassers war das Letzte, was noch von ihnen zu sehen war.
    Ragnhild ging und drehte sich nicht mehr um. Sie fühlte sich gut mit dem Gedanken, ein Stück von sich und Albert hier hinterlassen zu haben. Nun machte sie sich auf in den letzten Abschnitt ihres Lebens. Sie freute sich darauf und hieß ihn willkommen, als sie mühsam in den Pferdewagen stieg.
    »Bist du soweit, Großmutter?«, fragte Freyja und umfasste ihre Hand.
    »Ja, es kann losgehen«, sagte sie lächelnd und blickte zuerst zu Freyja, dann zu Runa, die den achtjährigen Thido im Arm hielt und dann zu Margareta, die ihr gegenübersaß.
    Walther war vorne, zusammen mit einem Mann des Grafen Johanns II., der den Wagen führte.
    Ava und Christian mit ihren sechs Kindern, sowie Godeke und Oda mit der kleinen Alma standen auf der Gröningerstraße, um zu winken. Sie alle hatten Tränen in den Augen.
    »Wir kommen euch besuchen. Bald schon!«, sagte Godeke zu Ragnhild, der sah, wie schwer es seiner Mutter fiel, ihn zurückzulassen.
    »Das ist gut. Und bringt ja die Kinder mit.«
    »Das werden wir!«
    »Wohin soll es gehen?«, fragte der Wagenführer Walther.
    »Zu den Kurien.«
    Die ledernen Zügel schnalzten. Dann ging ein Ruck durch sie alle, und die Pferde zogen kräftig an.
    Schweigend hielten sie die Hände ihres Nebenmanns und schauten sich dabei die Stadt noch einmal genau an, die so lange ihre Heimat gewesen war. Sie verbanden viel Freude und viel Leid mit ihr. Überall schlummerten Erinnerungen, keiner verspürte den Drang, sie zu teilen. Der Wagen zwängte sich durch die engen Straßen, die sie zum Berg führten. Von hier aus konnten sie die Kurien schon sehen, und davor stand Thymmo, der wie abgemacht auf sie wartete. Auch er schien sich von Hamburg zu verabschieden, so wirkte jedenfalls sein nachdenklicher Blick.
    Runa wurde das Herz schwer, als sie ihren Ältesten sah. Für ihn war die Zukunft am ungewissesten. Jetzt, wo Johann tot war, gab es keinen Grund mehr für ihn, weiter in dessen Kurie zu verbleiben. Mit wenigen Worten hatte er der Mutter klargemacht, dass er Hamburg mit ihnen verlassen würde. Still war er geworden seit seiner Gefangenschaft, und noch stiller seit Johanns Tod. Runa hoffte, dass er in seiner neuen Heimat wieder aufleben würde.
    Erst als der Wagen zum Stehen kam, war auf seinem Gesicht ein leichtes Lächeln auszumachen.
    Runa öffnete den Wagenschlag und ging zu ihrem Sohn. »Hast du es dir auch gut überlegt? Ich bin mir sicher, dass auch ein anderer Ratsherr einen Schreiber …«
    »Mutter«, unterbrach er sie. »Mein Entschluss steht fest. Es ist gut so.«
    Sie fühlte, dass ihrem Sohn der Abschied nur noch schwerer fallen würde, wenn sie ihn weiter in die Länge zog. Deshalb sagte Runa: »Einverstanden, dann lass uns fahren«, und stieg wieder in den Wagen. Den Schlag ließ sie hinter sich offen.
    Thymmo zögerte einen kurzen Augenblick. Er schaute zurück zur Kurie und
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