Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis
Autoren: Kathryn Lasky
Vom Netzwerk:
trocknen, damit sie nicht verdarben. Damit beschäftigte Siv sich nun. Sie breitete die Fische auf dem Eis aus, wie Svenka es ihr erklärt hatte, und drehte sie in regelmäßigen Abständen um. Zwischendurch unternahm sie kurze Übungsflüge, um ihren verletzten Flügel zu kräftigen. Die ersten Ansätze nachwachsender Federn zeigten sich bereits. Zwar war der Flügel kürzer als sein unversehrtes Gegenstück, aber durch geduldiges Üben lernte Siv bald, diesen Nachteil auszugleichen.
    So beschäftigt sie tagsüber war, so lang wurden ihr die Nächte. Wenn sie daran dachte, dass Svenka nun Mutter wurde, war sie tieftraurig und auch neidisch. Wie es wohl meinem eigenen Sohn ergangen sein mag? Ob er inzwischen geschlüpft ist? Ob ich je wieder von ihm hören werde?
    Siv war schmerzlich bewusst, dass um diese Jahreszeit überall Kinder zur Welt kamen. Manche davon, wie zum Beispiel junge Fische, hatten kaum etwas mit ihren Müttern zu tun. Andere wurden liebevoll umsorgt. Auf einem Ausflug hatte Siv kürzlich einen Eisberg erspäht, auf dem eine Blutpfütze leuchtete. In der Hoffnung auf frisches Fleisch war sie in den Sinkflug gegangen. Doch was hatte sie erblickt? Eine Robbenmutter, die ihre neugeborenen Jungen sauber leckte. Siv hatte sofort kehrtgemacht. Eigentlich hätte sie sich für die Robbenmutter freuen müssen. Aber der Anblick hatte ihr fast das Herz gebrochen.
    Sie war aber auch nachdenklich geworden. Warum fließt bei manchen Tieren Blut, wenn sie auf die Welt kommen? Ist das nicht irgendwie unnatürlich? , hatte sie überlegt, als sie wieder in ihrer Eishöhle saß. Ich bin froh, dass ich ein Vogel bin und dass es bei uns unblutig zugeht, wenn unsere Jungen schlüpfen. Andererseits ist es bestimmt auch schön, wenn man spürt, wie die Jungen im eigenen Leib heranwachsen. Das muss doch wie ein Wunder sein!
    Siv dachte über so manches nach, während sie auf Svenkas Rückkehr wartete. Über die Sterne und ihre Bahnen am Himmel, über den Unveränderlichen Stern, der stets an Ort und Stelle bleibt … und auch viel über mich, wie sie mir später gestand. Sie kannte mich schon ihr ganzes Leben lang, und doch gab ich ihr Rätsel auf. Ich besaß magische Fähigkeiten, aber zugleich war ich eine Eule des Verstandes und der Wissenschaft. Wie passte das zusammen? Und worin unterschieden sich meine Gaben von der Magie der Hägsdämonen? Siv dachte an ihre eigenen Erfahrungen mit den Dämonen zurück. Daran, wie das gelbe Licht ihren Magen gelähmt und sie willenlos gemacht hatte. Seltsamerweise war sie damals nicht so sehr von Angst erfüllt gewesen als vielmehr von ungläubigem Staunen. Auch Svenka hatte das Spiegelbild der heranfliegenden Dämonen im Wasser bestaunt. Merkwürdig …
    Wann hatte sie das gelbe Licht, das auch „Fyngrott“ genannt wurde, zuerst wahrgenommen? War es allmählich in die Schluchten des Palastes eingesickert oder war es jäh aufgeflammt?
    Siv rief sich ihr Erlebnis noch einmal vor Augen. Sie erinnerte sich, dass ihr ein ferner gelblicher Schimmer aufgefallen war, als sie mir das Schneddenfyrr mit ihrem Ei gezeigt hatte. Sie war einen Augenblick lang abgelenkt gewesen. Ist Ablenkung vielleicht die eigentliche Waffe der Dämonen?
    Weil sie abgelenkt gewesen war, hatten die Dämonen sie und mich überrumpeln können. Doch wir hatten den Überfall überlebt. Weil ich die Dämonen ebenfalls in Staunen versetzt habe! Sie hätten niemals damit gerechnet, dass eine brütende Mutter zur Waffe greift. Danach hat mich das gelbe Licht allerdings doch noch überwältigt. Aber ich konnte die Lähmung wieder abschütteln. Wie habe ich das bloß gemacht?
    Siv schloss die Augen und überlegte so angestrengt, dass ihr der Schädel brummte. Sie hatte gespürt, wie sie flügelstarr wurde. Das Ei aus Schnee war ihr entglitten. Sie hatte geglaubt, sich in eine Dämonin zu verwandeln. Da hatte ihr Magen plötzlich aufbegehrt. Wie konnten es die Dämonen wagen, sie, die Königin von N’yrthgar, zu einer der Ihren zu machen? Auf einmal hatte sie ihren verstorbenen Gemahl vor sich gesehen. Sie hatte sich auf sein Bild konzentriert. Sie hatte sich vorgestellt, wie H’rath in der Schlacht mit seinem Dolch auf die Feinde einhieb.
    Ich habe mich auf etwas anderes konzentriert als auf das gelbe Licht. Das hat den Bann gebrochen. Plötzlich hat sich mein Magen wieder geregt und ich konnte mich gegen die Dämonen wehren! Vorstellungskraft und Konzentration waren meine Rettung. Das sind aber keine magischen Gaben,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher