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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand
Autoren: Scott O'Dell
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erbärmlich heulte.
    Am nächsten Morgen befahl Pater Malatesta, daß Karana ihren Hund wegschaffen müsse. Die Aufseherin überbrachte Karana diese Botschaft. Ich war nicht dabei, also weiß ich nicht, wie sie es ihr mitteilte. Jedenfalls war Rontu-Aru am Abend nicht im Hof angebunden, und Karana lag nicht in ihrem Bett.
     

27
     
    Wir dachten alle, daß Karana am nächsten Morgen wieder auftauchen würde, wenn die Glocke zur Messe rief, aber sie kam nicht. Sie kam auch nicht zum Frühstück, und auch nicht in die Werkstatt.
    Statt des Mittagessens ging ich auf die Suche nach Karana. Mando und ich waren oft am Strand entlang zur San-Felipe-Lagune gelaufen, bis zu der Landspitze, die dort weit ins Meer hinausragte. Bei Flut schlug die Brandung hier hoch, aber bei Ebbe konnte man auf die Felsen steigen.
    Auf der Nordseite der Landspitze gab es zwei hohe Felsklippen und dazwischen verborgen eine Höhle. Bei Flut sprühte die Gischt bis zum Eingang, und wenn die Sonne schien, herrschte im Innern Dämmerlicht.
    Die Höhle zog sich in den Felsen hinein. Die Decke war zerklüftet und an manchen Stellen so niedrig, daß man nur auf allen vieren weiterkam. Dann öffnete sich dieser Gang plötzlich in einen großen Raum, in dem lange Zapfen von der Decke herunterhingen wie die Lampen in der Kapelle, und sie waren durchsichtig wie Luft.
    Es herrschte Flut, und in dieser großen Höhle fand ich Karana. Sie saß auf einem Stein, der flach wie ein Tisch war. Das Wasser schwappte an den Stein heran und wieder zurück, und Karana saß da, streichelte ihren Hund und sprach in ihrer Inselsprache mit ihm.
    Ich war schon eine Weile in der Höhle, bevor ich merkte, daß außer uns dreien noch andere Lebewesen hier waren.
    Karana hatte in die Mission immer wieder verletzte Tiere mitgebracht und gepflegt. Eigentlich wunderte es mich nicht, daß sie ihre Schützlinge hierher mitgenommen hatte. Da gab es einen Pelikan mit einem gebrochenen Bein, das Karana mit Hilfe von Stöcken und Schilf geschient hatte. Eine Otter lag in einem Wassertümpel neben der Felsplatte,
    auf der wir saßen, und schaute uns zu. Eine Möwe mit einem verletzten Flügel hockte über uns im Gestein. Im Dämmerlicht der Höhle funkelte noch ein Augenpaar, aber ich konnte nicht erkennen, wem es gehörte.
    Auf der Felsplatte brannte ein kleines Feuer. Karana briet Muscheln und schob sie mit einem Stock in der Glut hin und her. Rontu-Aru lag neben ihr, den Kopf auf den Pfoten. Er blieb ruhig, als ich in die Höhle trat. Karana mußte ihm beigebracht haben, wann er bellen sollte und wann nicht. Er lag regungslos da, aber seine gelben Augen beobachteten mich.
    Ich begrüßte Karana mit einem Laut, den wir als Gruß zwischen uns erfunden hatten.
    Karana schürte das Feuer; dann lehnte sie sich zurück, legte ihre Hand fest auf meinen Arm und ließ sie lange dort liegen.
    Aus ihrer Berührung verstand ich, warum sie hier in der Höhle saß und warum sie niemals in die Mission zurückkehren würde, solange Pater Malatesta dort war. Sie wollte nicht mit vielen Menschen zusammen ohne ihren Hund in einem Raum schlafen.
    Karana bot mir von den gebratenen Muscheln an, aber ich mußte wieder gehen, damit ich nicht zu spät zur Arbeit kam.
    Nach der Abendmesse ging ich wieder zu Karana. Im Dunkeln war es mühsam, zur Höhle zu gelangen, vor allem, weil ich eine der letzten Melonen aus dem Garten trug.
    Karana hatte ein großes Feuer angezündet. Sie aß die Melone. Dann saßen wir da, und der Feuerschein zuckte auf den Felswänden und auf den Zapfen, die von der Decke hingen und wie Kristalle aussahen.
    Ich hatte ihr das Wort »Delphin« beigebracht, und wenn sie es benutzte, dann meinte sie die Insel der blauen Delphine.
    Karana zeigte auf die Felswand vor uns. Sie war glatt und im Gestein steckten Knochen. Sie sahen wie ein Flügel aus, wie der Flügel eines Riesenvogels, der zwanzig Schritte lang gewesen sein mußte. Der Flügel klebte flach an der Felswand, fast darin eingebettet; eine riesige Schwinge ohne Gefieder von einem Vogel, der vor langer Zeit, als Mukat noch auf Erden weilte, Koyote durch das Land streifte und Zando unser Gott war, gelebt haben mußte.
    Karana zeigte auf das Flügelskelett und dann nach Westen und sagte »Delphin«. Ich begriff, daß es solch einen Flügel auch auf der Insel der blauen Delphine gegeben hatte. Ich fragte mich, ob sie wohl auf die Insel zurückkehren möchte.
    Dann zeichnete sie in der Luft und das bedeutete: Das Vogelskelett auf der
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