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Das Titanic-Attentat

Das Titanic-Attentat

Titel: Das Titanic-Attentat
Autoren: Gerhard Wisnewski
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historischen intakten Räumen der
Titanic
überblendet und damit gleichgesetzt: Plötzlich wird man quasi von Rose in das Innere der
Titanic
geführt, wo einem zwei Diener die Türen öffnen. Wie der Zuschauer meint, um ihm eine anrührende Liebesgeschichte zu erzählen. In Wirklichkeit, um ihm in einem Zustand optimaler psychologischer Vorbereitung eine ganz bestimmte Version des
Titanic
-Untergangs zu verkaufen.

Die Entlastung des Kapitäns
    Auf der
Titanic
trifft man Rose als wunderschönes junges Mädchen der High-Society wieder, und man sieht die Hauptakteure dieser Katastrophe mit ihren Augen. Die Hauptrollen werden gleich konsequent besetzt: Der Kapitän als lächelnder und sanftmütiger Seebär, der ebenfalls an Bord anwesende
Titanic
-Reeder und Chef der White Star Line Bruce Ismay als Bösewicht und geschniegelter, aalglatter Geschäftsmann, der den netten, sympathischen Seebären Smith nötigt, schneller zu fahren, als dieser eigentlich will.
    Ismay wird damit schon über das Casting des Darstellers psychologisch beschuldigt, am Untergang der
Titanic
schuld zu sein. Die Presse habe nun die Größe der
Titanic
bewundert, lässt Regisseur Cameron Ismay sagen, nun müsse sie die Geschwindigkeit des Schiffes bewundern. Den Einwand des Kapitäns, die neuen Maschinen müssten erst eingefahren werden, ignoriert der Film-Ismay.
    In Wirklichkeit trägt der Kapitän, so viel sei schon einmal gesagt, wie jeder andere Kapitän auch, die alleinige und volle Verantwortung an Bord des Schiffes und damit auch für den Untergang. Überspitzt formuliert ist niemand anderer als der Kapitän der »Killer« von 1500 Menschen.
    Diese Entlastung des Kapitäns reicht Cameron daher noch nicht. Der Kapitän wird weiter aus der Schusslinie genommen, indem die Zahl der Eiswarnungen, die der Schiffsführer vor dem Unglück erhalten haben muss, heruntergespielt wird. Während in Wirklichkeit mindestens ein halbes Dutzend Eiswarnungen auf der Brücke ankamen, wird im Film gezeigt, wie Smith gerade mal eine Eiswarnung erhält. Auf diese Weise fällt es leichter, sie wegzuerklären.
    Zwischendurch treten wieder die Figuren aus dem Forschungsschiff auf. Die Filmfigur Lewis Bodine, der Rose zuvor die Animation vom Untergang der
Titanic
gezeigt hatte, spielt den Advocatus Diaboli, indem er Smith beschuldigt: »Dieser Smith steht einfach da und hat ’ne Eisbergwarnung in seiner Scheißhand – entschuldigen Sie bitte –, in seiner Hand, und er ordnet eine noch höhere Geschwindigkeit an!«

Erfahrung trübt den Blick
    Dieses Problem wird aufgegriffen, weil sich diese Frage jeder vernünftige Mensch stellt. Der Film-Expeditionsleiter Lovett antwortet darauf mit einer geradezu abenteuerlichen Entschuldigung. Demnach ist die große Erfahrung des Kapitäns nicht etwa von Vorteil gewesen und ein Widerspruch zu seinem unverantwortlichen Verhalten. Vielmehr hätten seine »26 Jahre Erfahrung … seinen Blick getrübt«.
    Das ist natürlich merkwürdig. Dachten wir nicht bisher, dass Erfahrung den Blick schärft, statt ihn zu trüben? Genau deshalb werden verantwortungsvolle Aufgaben ja auch nicht Anfängern, sondern erfahrenen Menschen anvertraut. Aber Erfahrung scheint in amerikanischen Spielfilmen eher etwas Hinderliches zu sein.
    Wobei das noch nicht alles ist. Absurditäten, und das ist ein weiteres Gesetz, das für alle Negative zutrifft, lassen sich nun mal nur mit Absurditäten wegerklären. Deshalb heißt es weiter: Smith »dachte, dass man alles, was groß genug wäre, das Schiff zu versenken, rechtzeitig sehen würde«. Was sich ganz so anhört, als hätte Smith jeder andere Unfall gar nicht gekümmert. Autofahrer aller Länder, vereinigt Euch: Unfälle, Blechschäden, Verletzte – alles egal, solange das Auto nur keinen Totalschaden erleidet! Einfach draufhalten, solange das Schiff nur nicht sinkt, ist jedoch eine äußerst gewöhnungsbedürftige Berufsauffassung, die wahrscheinlich nur im Zusammenhang mit der
Titanic
zu beobachten war – denn sonst gäbe es schließlich reihenweise Schiffsunfälle auf unseren Meeren, Passagiere würden verletzt und Schiffe schwer beschädigt, und die gesamte Schifffahrt würde zu einem einzigen Draufgängertum und Verlustunternehmen werden. Natürlich war das in Wirklichkeit nicht so. Wie wir noch sehen werden, hatten andere Schiffe in der Nähe der
Titanic
über Nacht sogar angehalten.
     
    Hier sehen wir also bereits ein schönes Beispiel einer »Negativlogik«, wie man sie immer wieder im
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