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Das Testament der Götter

Das Testament der Götter

Titel: Das Testament der Götter
Autoren: Christian Jacq
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Lehrmeistern auszubilden, bevor er schließlich selbst Heiler wurde. Für die Ersuchen des Hofes unempfänglich und Ehrungen gegenüber gleichgültig, hatte er allein für die Heilkunst gelebt. Indes, wenn er die große Stadt im Norden verlassen hatte, um sich in eine kleine Ortschaft des thebanischen Bezirks zu begeben, so war dies nicht seines Berufes wegen geschehen. Er hatte eine andere, eine derart heikle Aufgabe zu erfüllen, daß sie zum Scheitern verurteilt zu sein schien; doch er würde nicht aufgeben, bevor er nicht alles versucht hätte. Bewegt fand er sein inmitten eines Palmenhains verstecktes Dorf wieder. Branir ließ die Sänfte neben einer Gruppe dicht ineinander stehender Tamarisken anhalten, deren Äste bis zum Boden reichten. Die Luft und die Sonne waren mild; er bemerkte die Bauern, die der Weise einer Flöte lauschten. Mit der Hacke zerkleinerten ein Alter und zwei Junge die Erdschollen auf dem Hochfeld, das sie gerade bewässert hatten; Branir dachte an die Jahreszeit, in welcher der von der Nilschwelle zurückgelassene Schlamm die Saat aufnahm, die Schweine- und Schafherden dann eintraten. Die Natur bot Ägypten unschätzbare Reichtümer, welche die Menschen mit ihrer Arbeit bewahrten; Tag für Tag verstrich in den Gefilden dieses von den Göttern geliebten Landes eine glückselige Ewigkeit.
    Branir setzte seinen Weg fort. Am Eingang des Dorfes begegnete er einem Ochsengespann; eines der Tiere war schwarz, das andere weiß mit braunen Flecken. Unter das hölzerne Joch gezwungen, das auf dem Stirnbein an den Hörnern auflag, schritten sie gemächlich vorwärts.
    Vor einem der Lehmhäuser molk ein kauernder Mann eine Kuh, deren Hinterbeinen er Fesseln angelegt hatte. Sein Gehilfe, ein junger Knabe, goß die Milch in einen irdenen Krug.
    Branir entsann sich gerührt der Kuhherde, die er einst gehütet hatte; sie hatten »guter Rat«, »Taube«, »Wasser der Sonne« oder »glückliche Überschwemmung« geheißen. Ein Segen für den, der sie besaß, verkörperte die Kuh Schönheit und Sanftheit. In den Augen eines Ägypters gab es kein begehrenswerteres Tier; mit seinen großen Ohren vernahm es die Musik der Sterne, die, wie es selbst, unter den Schutz der Göttin Hathor gestellt waren. »Welch ein herrlicher Tag«, sang oftmals der Kuhhirte, »der Himmel ist mir gewogen und meine Pflicht süß wie der Honig.« {6} Gewiß, der Aufseher der Felder hatte ihn des öfteren zur Ordnung gerufen und ihn aufgefordert, sich zu sputen und das Vieh anzutreiben, statt herumzutrödeln. Und wie gewöhnlich hatten die Kühe ihren Weg gewählt, ohne ihren Gang zu beschleunigen. Der alte Heilkundige hatte beinahe all diese schlichten Begebenheiten vergessen, dieses Dasein ohne Überraschungen und den heiteren Frieden des Alltags, in dem der Mensch nur ein Anblick unter vielen war; die Gesten wiederholten sich Jahrhundert um Jahrhundert, die Nilschwelle und die Ebbe bildeten das stete Ebenmaß von Menschengeschlechtern … Plötzlich brach eine mächtige Stimme die Ruhe der Ortschaft. Der öffentliche Ankläger rief die Bevölkerung zu Gericht, während der Büttel {7} , der die Sicherheit gewährleisten und der Ordnung Achtung verschaffen sollte, eine Frau packte, die entschieden ihre Unschuld beteuerte.
     
    Das Hohe Gericht hatte sich im Schatten einer Sykomore eingerichtet; den Vorsitz führte ein Richter von einundzwanzig Jahren, der das Vertrauen der Ältesten besaß. Für gewöhnlich ernannten die Oberen allerdings einen Mann reifen Alters, der mit gründlicher Erfahrung ausgestattet und für seine Entscheidungen bezüglich seiner Güter – sofern er reich war – und seiner Person – wenn er nichts besaß – vollends mündig war; daher auch herrschte an Anwärtern für dieses Amt, und sei es das eines niederen Landrichters, kein Überfluß. Jeder bei einem Vergehen ertappte Gerichtsbeamte wurde strenger bestraft als ein Mörder; eine gesetzestreue Ausübung der Rechtspflege verlangte dies. Paser hatte keine Wahl gehabt; aufgrund seiner entschiedenen Wesensart und seines ausgeprägten Sinns für Redlichkeit war er einstimmig vom Ältestenrat erwählt worden. Wenngleich er noch sehr jung war, legte der Richter sicheren Sachverstand an den Tag, indem er jeden Fall mit äußerster Sorgfalt bearbeitete. Recht groß und eher schmal, mit seinem dunkelblonden Haar, der breiten, hohen Stirn, seinen grünen, ins Kastanienbraune stechenden Augen und seinem wachen Blick beeindruckte Paser durch seine Ernsthaftigkeit;
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