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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall
Autoren: Tanja Kinkel
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heilige Herzöge oder Könige?«, fragte er einen der Führer, den sie für die letzte Strecke gewonnen hatten, und war stolz darauf, das normannische Französisch zu beherrschen, zumal ihm das Lernen nicht leichtgefallen war.
    Der Mann lachte. »Nein. Die Sachsen hatten einen heiligen König, aber die haben England an uns Normannen verloren. Wenn Ihr mich fragt, Heilige sind schlechte Herrscher.« Er fügte noch hinzu, dass das Herz des verstorbenen König Richard in der Kathedrale beerdigt war, desgleichen sein Bruder Hal, seine Großmutter Maude, die einst Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches gewesen war, und seine Schwester, Ottos Mutter Mathilde, die Gemahlin Heinrichs des Löwen. Das verschaffte Paul die Gelegenheit, endlich einen Vorschlag zu machen, mit dem er, wie er hoffte, seinen Vater beeindrucken würde.
    Vor den Stadttoren, während sie darauf warteten, dass die Wachen kamen und ihren Tross begutachteten, zog Paul seinen Vater zur Seite und erzählte ihm von den Gräbern in der Kathedrale. »Wir sollten eine Kerze für die tote Herzogin Mathilde stiften und dem König etwas aus Rouen mitbringen, um seine Mutter zu ehren. Wird ihn das nicht für dich einnehmen, Vater?«
    »Nur, wenn er seine Mutter liebt«, entgegnete Stefan, bemerkte Pauls enttäuschte Miene und klopfte ihm auf die Schulter. »Nach allem, was ich gehört habe, tut er das. Ein guter Gedanke, mein Sohn.«
    Zur Kathedrale zu ziehen erwies sich als ein ausgesprochener Glücksfall; man konnte schon von weitem die Wachen mit dem Wappen der Könige von England davor sehen, was bedeutete, dass sich König John dort befand, vielleicht, um für seine toten Familienangehörigen zu beten. Die Kathedrale selbst war eine leichte Enttäuschung, weil sie zwar groß angelegt war, aber erst vor einiger Zeit niedergebrannt sein musste und noch lange nicht wieder im so gelobten alten Glanz erstrahlte. Überall standen Gerüste, und es waren mehr Handwerker als Ameisen unterwegs; Paul hörte einen der Bewaffneten zynisch bemerken, wenn König John wirklich in Gefahr stünde, die Normandie zu verlieren, dann sollte er lieber sein Geld sparen und all diese Männer für den Bau von Festungen einsetzen.
    »Ganz gewiss wird er die Normandie verlieren«, entgegnete der Führer und bekreuzigte sich. »Gott helfe uns. Dies ist die Kirche, in der schon die normannischen Herzöge bestattet wurden, ehe der Eroberer den Kanal überquerte, um dort König zu werden, und sie brannte nieder, als das letzte Jahrhundert vor drei Jahren ein Ende fand. Das war ein Omen, meine Freunde: Eine Zeitenwende ist angebrochen! Gott will nicht länger, dass der König von England auch Herzog der Normandie, der Bretagne und Aquitaniens ist. Er will, dass all diese Fürstentümer von der ältesten Tochter der Kirche regiert werden, und das ist die Krone von Frankreich.«
    »Vater«, fragte Paul auf Deutsch, da ihn so niemand außer ihren eigenen Leuten verstehen würde, »wenn König John seine französischen Herzogtümer verliert, dann sind doch unsere Handelsverträge so oder so nichts mehr wert. Sollen wir nicht lieber versuchen, den französischen König für Otto und Köln zu gewinnen?«
    »Der französische König hat sich für die Staufer entschieden, da ist vorerst nichts zu machen«, sagte sein Vater leise und bedeutete ihm dann, zu schweigen, während sie mit andächtigen Mienen auf das rußbefleckte Portal zugingen. Die Wachen hielten Pauls Vater nicht an, aber Paul, seines Kurzschwerts wegen. Er drückte es einem ihrer Leute in die Hände; auf gar keinen Fall wollte er seinen Vater allein mit einem König lassen, dem man sogar den Mord an seinem Neffen nachsagte, selbst in einer Kirche nicht.
    Es war nicht weiter schwer, die kleine Ansammlung von Edelleuten in der Krypta zu entdecken, wo sich die Grabmäler befanden; der Lärm, den die unzähligen Handwerker verursachten, war etwas ganz anderes. »Wir haben Glück«, sagte sein Vater Paul fast schon ins Ohr, um nicht rufen zu müssen. »Einer von ihnen ist William Marshall. Den habe ich bei meinen Verhandlungen mit Richard kennengelernt. Bleib hinter mir, verbeuge dich tief, und vor allem: Sag kein Wort.«
    Paul wusste nicht, ob die letzte Anweisung eine Beleidigung war, doch er tat, wie ihm geheißen. Er hielt auch den Blick streng auf den Boden gerichtet, während sein Vater mit dem edlen William Marshall, Graf Pembroke sprach, der ihn nach einigen Hinweisen wiedererkannte; dabei hätte Paul nichts lieber getan, als
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