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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
Autoren: John Boyne
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aneinanderreiht und voller Hass vor uns ausspuckt.
    Clayton geht davon, kehrt gleich wieder um, zieht einen Handschuh aus und schlägt ihn Will ins Gesicht. Wir sind Gewalt gewöhnt, trotzdem überrascht uns Claytons Verhalten. Es ist gleichzeitig zahm und bösartig.
    »Ich kann Feiglinge nicht ausstehen«, brüllt Clayton und schlägt noch einmal zu, kräftig, und Wills Kopf fliegt zur Seite. »Kann es nicht ausstehen, mit einem an einem Tisch zu sitzen, mit einem zu reden oder ihn zu befehligen.«
    Harding sieht Wells an, als wollte er ihn fragen, ob sie etwas unternehmen sollen, aber Clayton hört auf und wendet sich wieder an alle.
    »Dieser Mann«, erklärt er, »hat sich während des Abendangriffs geweigert zu kämpfen. Angesichts dessen ist er militärgerichtlich der Feigheit überführt worden. Morgen früh um sechs wird er erschossen. So bestrafen wir Feiglinge.«
    Will hält den Kopf jetzt aufrecht. Es scheint ihm nichts auszumachen. Ich sehe zu ihm hinüber und will, dass er in meine Richtung blickt, aber er tut es nicht. Selbst jetzt, selbst in diesem Moment, gesteht er mir das nicht zu.
    Es ist Nacht und überraschend ruhig. Ich gehe nach hinten in den Reservegraben, wo ein paar Sanitäter Gefallene auf Tragen legen, damit sie nach Hause transportiert werden können. Ich sehe nur kurz hin und entdecke Attling und Williams, und Robinson, dem eine deutsche Kugel den Kopf aufgerissen hat. Auf der Bahre neben ihm liegt Milton, der Mörder des deutschen Jungen, ebenfalls tot. Drei von uns sind noch übrig, Sparks, Will und ich.
    Wie habe ich so lange überleben können?
    Ich gehe zum Quartier des Sergeants. Wells steht davor und raucht eine Zigarette. Er ist bleich und wirkt nervös. Er inhaliert tief, saugt das Nikotin in seine Lunge und verengt die Augen, als er mich näher kommen sieht.
    »Ich muss Sergeant Clayton sprechen«, erkläre ich ihm.
    »Ich muss Sergeant Clayton sprechen, Sir «, verbessert er mich.
    »Es ist wichtig.«
    »Jetzt nicht, Sadler. Der Sergeant schläft. Er lässt uns alle erschießen, wenn wir ihn wecken, bevor es nötig ist.«
    »Sir, wir müssen wegen des Sergeants etwas unternehmen«, sage ich.
    »Etwas unternehmen? Was meinen Sie damit?«
    »Darf ich offen sprechen, Sir?«
    Wells seufzt. »Spuck’s schon aus, Himmel noch mal.«
    »Der Alte hat den Verstand verloren«, sage ich. »Das müssen Sie doch auch sehen. So wie er Bancroft vorhin geschlagen hat? Und das Kriegsgerichtsgerede? Das dürfte hier niemals so stattfinden. Bancroft sollte ins Hauptquartier gebracht und vor ein Geschworenengericht gestellt werden …«
    »Das ist geschehen, Sadler. Als Sie krank waren, erinnern Sie sich?«
    »Aber das war hier.«
    »Das ist erlaubt. Wir befinden uns im Gefecht. Das sind außergewöhnliche Umstände. Das Militärhandbuch besagt eindeutig, dass unter Umständen wie diesen …«
    »Ich weiß, was das Handbuch besagt. Aber kommen Sie, Sir. Er wird …«, ich sehe auf meine Uhr, »in weniger als sechs Stunden erschossen. Das ist nicht richtig, Sir. Und Sie wissen das.«
    »Das ist mir so egal, Sadler«, sagt Wells. »Ob wir ihn nach Hause verschiffen, ins Niemandsland schicken oder in der Frühe erschießen, ehrlich, es interessiert mich nicht. Können Sie das verstehen? Das Einzige, was wichtig ist, ist die nächste Stunde, und dann die danach und die danach, und dass der Rest von uns am Leben bleibt. Wenn Bancroft nicht kämpfen will, lassen Sie ihn sterben.«
    »Aber, Sir …«
    »Genug, Sadler. Gehen Sie zurück in Ihren Unterstand.«
    Ich kann nicht schlafen, natürlich kann ich das nicht. Die Stunden verstreichen, und ich beobachte den Horizont und versuche, die Sonne mit meinem bloßen Willen am Aufgehen zu hindern. Ungefähr gegen drei Uhr wandere ich durch den Graben, bin tief in Gedanken und achte nicht darauf, wohin ich meine Füße setze. Ich stolpere über zwei ausgestreckte Beine, kann es aber gerade noch abwenden, kopfüber im Dreck zu landen.
    Wütend drehe ich mich um und sehe einen der neuen Rekruten, einen großen Rotschopf namens Marshall, der den Kopf hebt und sich den Helm aus dem Gesicht schiebt, den er sich zum Schlafen darübergelegt hat.
    »Himmel noch mal, Marshall«, sage ich. »Nimm deine verdammten Beine aus dem Weg!«
    »Und was geht dich das an?«, fragt er, setzt sich auf und verschränkt die Arme vor der Brust, um mich herauszufordern. Er ist jung und einer von denen, die noch nicht miterlebt haben, wie einem ihrer Freunde der Kopf von den Schultern
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