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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Kern
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ging in den Küchentrakt.
    Klara ergriff meinen Arm und zog mich auf den Kräutergarten zu. Ich wehrte mich nicht, stolperte nur zitternd und benommen hinter ihr her. Sie öffnete das Gartentor, zog mich ins Innere und schloss es wieder. Ich lehnte mich gegen das Holz. Meine Knie waren so schwach, dass ich schon befürchtete, gleich umzufallen.
    Klara sah sich um. Die Bäuerinnen hatten während unserer Pause den Garten verlassen.
    »Sitzt dir Satan persönlich auf der Schulter? Willst du das Osterfest hinter einer Schandmaske am Pranger verbringen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Die Gräfin hat es mir erlaubt« war das Einzige, was ich sagen, das Einzige, was ich denken konnte.
    »Und du hättest dem Schultheiß davon erzählen sollen, damit er sich nicht hintergangen fühlt.« Klara nahm mich in die Arme.
    Ich legte den Kopf auf ihre Schulter. Die Wolle ihres Umhangs kratzte über mein Kinn. Ich dachte, ich müsste weinen, aber die Tränen kamen nicht. In meinem dummen Stolz hatte ich angenommen, die Gräfin würde dem Schultheiß sofort befehlen, mich auf die Pilgerfahrt gehen zu lassen, als gäbe es nichts Wichtigeres, um das sich eine Frau ihrer Stellung kümmern musste.
    »Stattdessen hat Gertrud ihm davon erzählt«, sagte ich. Mit ihr hatte Karl an der Tür zum Küchentrakt gesprochen. Ich hatte es geahnt, doch nun war ich mir sicher. »Neidische alte Vettel.«
    Klara löste die Umarmung, trat einen Schritt zurück und sah mich an. »Vielleicht hat sie dir einen Gefallen getan. Es hätte schlimm ausgehen können, wärst du einfach gegangen, ohne dass der Schultheiß etwas davon weiß.«
    »Ja«, sagte ich, ohne es zu meinen.
    Sie lächelte. »Das ist nicht das Ende der Welt. In ein paar Monaten gehen wir zusammen zu Karl dem Kleinen und fragen ihn, ob du nächstes Jahr die Fahrt unternehmen darfst. Wenn wir ihm versprechen, dass deine Arbeit nicht liegen bleibt, sagt er bestimmt Ja.«
    Nächstes Jahr. Die Worte fielen wie Steine auf meine Seele. Meine Großmutter hatte sie nach jedem Weihnachtsfest aus gesprochen, wenn der Sohn, den sie in die Lehre eines Schmieds gegeben hatte, nicht zurückgekehrt war. Er hatte versprochen, nach dem Ende seiner Lehre zum Heiligen Fest heimzukommen, doch das war nie geschehen. Dennoch hatte meine Großmutter bis zum Ende ihres Lebens nach jeder Weihnachtsmesse die Hände in den Schoß gelegt und »Vielleicht nächstes Jahr, bestimmt nächstes Jahr« geflüstert. Sie hatte mir leidgetan. Ich wollte nicht, dass ich einmal jemandem leidtat.
    »Du tust mir so leid, Madlen«, sagte Klara. »Ich möchte …«
    »Komm«, unterbrach ich sie barscher als nötig. »Das Unkraut jätet sich nicht von selbst.«
    Den Rest des Nachmittags verbrachten wir schweigend.

Kapitel 2
    Die Sonne ging bereits unter, aber ich wartete trotzdem, bis Klara und die anderen Mägde den Burghof verlassen hatten. Ich konnte die Vorstellung, Gertruds Gesicht sehen und ihre frommen Worte hören zu müssen, nicht ertragen.
    Ich würde diese Sünde – ich war sicher, dass es eine war – Vater Ignatius bei der nächsten Messe beichten müssen. Eine von vielen. Er würde mich vor allem wegen meines Verhaltens gegenüber Karl dem Kleinen tadeln.
    Ob ich ihm gestehen sollte, dass der Wunsch, meine Söhne zu sehen, für mich wichtiger gewesen war als der, vor den Gebeinen der Heiligen Drei Könige zu stehen? Vater Ignatius war ein gnädiger, mitfühlender Priester, aber auch seine Geduld kannte Grenzen.
    Ich verließ den Garten. Die Türme warfen lange Schatten auf den Burghof. Die Wärme des Tages verflog mit dem aufkommenden Wind, und es wurde kalt.
    Ich ging zum Küchenfenster und nahm einen der Beutel mit Brotresten, die Helene fast jeden Abend für mich und einige andere bereitstellte. Manchmal klebte noch etwas Soße an den Scheiben, wenn sie den Herrschaften als Teller gedient hatten. Ich achtete immer darauf, dass meine Mutter als Erste davon aß. Sie hatte in ihrem Leben genug gehungert.
    Als ich mich umdrehte und zum Tor gehen wollte, fiel mein Blick auf das Haupthaus. Kerzenlicht flackerte in den Fenstern des Speisesaals. Der Graf, seine Familie und die Bediensteten nahmen wohl gerade das Abendmahl ein. Ich stellte mir vor, wie sie dort zusammensaßen und über Dinge redeten, von denen ich nichts verstand. Ob die Gräfin sich noch an ihr Versprechen erinnerte, oder hatte sie wirklich jenen Tag vergessen, an dem vier Männer im Steinbruch unter Felsen begraben worden waren? Wenn ich sie nur sprechen, nur
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