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Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
Autoren: Joseph Caldwell
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konnte sie nicht ihre Zeit damit verbringen, erheitert oder erlöst zu sein. Schließlich war sie vor allem Schriftstellerin, übte einen Beruf aus, der es erforderte, verzagt, auch verzweifelt zu sein, ja selbst Minderwertigkeitsgefühle zu haben, wenn auch Letzteres eine Anwandlung war, zu der Kitty McCloud selten neigte. Was sie jetzt brauchte, und zwar ziemlich schnell, war eine Inspiration, etwa der vergleichbar, der sie ihren jüngsten Erfolg verdankte: eine Korrektur des Werks
Die Mühle am Floss
.
    Im Zusammenspiel mit den höchstgehandelten Musen war Maggie Tulliver von Kitty vor dem aberwitzigen Schicksal bewahrt worden, das Ms George Eliot für sie vorgesehen hatte. Schon als sie den Roman zum ersten Mal las, war Kitty die Galle übergelaufen, freilich war sie damals ein Teenager gewesen, der sich immerfort gegen etwas empörte. So wahr Gott ihr Zeuge war, sie hätte Maggie – dem mit lebhafter Phantasie begabtenKind, das fortlief und sich den Zigeunern anschloss in der Hoffnung, deren Königin zu werden – nie zugemutet, verstört an einen ihrer unwürdigen Mann zu geraten, dann eben noch rechtzeitig zu ihrem Bruder, einem ehrpusseligen Mistkerl sondergleichen, zurückzukehren, um mit ihm in den sturmgepeitschten Wogen des zum Buchtitel gehörenden Floss zu ertrinken.
    Nein. Sie hatte sich geschworen, Maggie trotz allem glücklich werden zu lassen. Und das machte sie – in ihrer unnachahmlichen Art. In einem vom Schicksal ausersehenen Moment begegnet Maggie noch einmal dem Zigeunerjungen, der sie vor langen, langen Jahren auf seinem Pferd im ganzen Lager herumgeführt hatte. Jetzt rettet er sie aus dem rasch ansteigenden Floss, offenbar wieder auf dem Rappen sitzend, an den sie sich erinnerte. Ihre Liebe erfüllt sich. Als Junge war er, was Maggie nicht wusste, der Prinz der Zigeuner gewesen. Nun, zum Mann herangewachsen, ist er deren König. Maggie Tulliver wird, ob nun mit Floss oder ohne Floss, ob mit Mistkerl von einem Bruder oder ohne, wie Gott und Kitty es vom Anbeginn aller Zeiten bestimmt hatten, die Königin der Zigeuner. (Denn in Wahrheit glaubte Kitty tief in ihrem Inneren, dass sie mit ihrem Schreiben Gottes Werk tat – ein unerschütterlicher Glaube, der Menschen ihrer Art gegeben ist.)
     
    Gerade als sie sich losreißen und die Wendeltreppe hinuntersteigen wollte, um sich wieder an den Computer zu begeben, der ihrer ungeduldig harrte, fiel Kittys Blick auf einen Mann, der langsamen Schrittes allein die Straße zur Burg heraufkam. Er war fast völlig in Schwarz gekleidet, sowohl Hose wie Jacke, dazu trug er ein am Hals offenes weißes Hemd. Der arme Kerl sah ganz und gar so aus wie ein geschlagener Krieger, der nach einer verlorenen, in fernem Land geführten Schlacht heimkehrt. Er hatte weder Mütze noch Hut auf. Gebannt starrte sie auf das dichte schwarze Haar, das ihm in die Stirn fiel, und auf die dunklen Brauen, die nicht von den noch dunkleren Augenablenken konnten, Augen, die in besseren Zeiten herausfordernd in die Welt geschaut hatten. Mit einer Hand hatte er einen, wie es schien, schweren Lederbeutel gepackt, den er an der Seite trug. Darin waren möglicherweise (aber eigentlich unmöglicherweise) die Werkzeuge, die zum Decken eines Reetdaches benötigt wurden.
    Das konnte nur (abgesehen davon, dass er es eigentlich nicht sein konnte) Declan Tovey sein. Oder (am aller unwahrscheinlichsten) der Geist des Declan Tovey. In Kittys Brust regte sich rebellischer Zorn. Der Augenblick des sich Befreitfühlens war vorbei. Hatte sie nicht schon genug Geister? War ihre Burg dazu verdammt, Zwischenstation für jedweden umherwandernden Schatten zu sein, dem es nicht gelungen war, aus welchem Grund auch immer, die Reise von dieser Welt in die nächste zu vollenden? In Anbetracht der zahlreichen Gespenster, die in den ländlichen Gegenden Kerrys umherlungern sollten, würde ihre Burg, wenn es so weiterging, eine beachtliche Sammelstätte werden für jede Art von Phantom, das sein ungerecht vorzeitiges Hinscheiden verstört hatte.
    Wie um ihre Klage zu rechtfertigen, sah sie nach Osten zu die vertrauten Geister Taddy und Brid langsam durch ihren Apfelgarten wandeln. Das waren die in der Burg Kissane ansässigen Schlossgespenster, beide jung und unsagbar hübsch. Taddy und Brid akzeptierte sie, die waren in der Großen Halle ihrer Burg vor mehr als zweihundert Jahren gehängt worden. Ihnen stand unbestritten ein Aufenthaltsrecht zu. Aber was für ein Recht konnte Declan Tovey für sich
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