Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
eigentlich gar nichts Schlechtes tun.«
»Ich hab den Eindruck, er will überhaupt nichts tun.«
»Er würde schon, wenn er könnte.«
    »Yeah. Und wenn ein Frosch Flügel
hätte, würd´ er sich nicht den Arsch mit Rumhüpfen
durchscheuern!«
    Peinliches Schweigen. Ich drehte mich um und sah hinaus. Die Mädchen saßen nicht mehr auf
der Veranda. Sie waren irgendwohin gegangen.
»Komm, setz dich doch, Henry«, sagte Tante Anna.
Ich blieb stehen. »Danke«, sagte ich, »ich bin nicht müde.«
    »Anna«, sagte meine Mutter, »bist du dir sicher, dass John wiederkommt?«
    »Sicher kommt er wieder«, sagte mein
Vater. »Wenn er genug Hennen gezaust hat.« »John
liebt seine Kinder …«, kam es zaghaft von Anna.
    »Ich höre, die Cops sind auch noch wegen was anderem hinter ihm her.«
»Was denn?«
»Vergewaltigung.«
»Vergewaltigung ?«
    »Ja, Anna, ich weiß Bescheid. Er ist
mal wieder mit seinem Motorrad durch die Gegend gefahren, und da stand
‘ne junge Anhalterin an der Straße. Sie ist hinten
aufgestiegen, und nach einer Weile hat John plötzlich eine leere
Garage gesehen. Er ist da reingefahren, hat das Tor zugemacht und das
Mädchen vergewaltigt.« »Wie hast du das
rausgekriegt?«
    »Brauchte ich gar nicht. Die Cops sind gekommen und haben es mir erzählt. Sie wollten
wissen, wo er ist.«
»Hast du’s ihnen gesagt?«
»Wozu? Damit er ins Gefängnis kommt und sich vor seiner Verantwortung drücken kann?
Das wär ihm grade recht.«
»Von der Seite hab ich das nie gesehen.«
»Nicht dass ich für Vergewaltigung bin …«
»Manchmal kann ein Mann halt nicht anders.«
»Was??«
    »Ich meine, nachdem ich zwei Kinder geboren
habe, und mit diesem Leben hier … die ganzen Sorgen und alles
… ich seh jetzt nicht mehr so gut aus. Er hat ein junges
Mädchen gesehen, sie hat ihm gefallen … sie steigt auf sein
Motorrad, verstehst du, und sie legt die Arme um ihn …«
»Was??« brauste mein Vater auf. »Würdest du dich
vielleicht gern vergewaltigen lassen?« »Ich glaub
nicht.«
    »Na, und diesem Mädchen hat es garantiert auch keinen Spaß gemacht!«
    Eine Fliege kam durchs Fenster und schwirrte um den Tisch. Wir sahen ihr nach.
    »Hier gibt es nichts zu essen«, sagte
mein Vater. »Diese Fliege hat sich im Haus geirrt.« Die
Fliege wurde zunehmend frecher. Sie flog immer näher heran, und je
näher sie kam, desto aufdringlicher wurde ihr Summen.
    Die Tante wandte sich an meinen Vater. »Du wirst doch der Polizei nicht sagen, daß John
vielleicht wieder nach Hause kommt?«
»Nee, so leicht mach ich’s ihm nicht«, sagte mein Vater.
Die Hand meiner Mutter fuhr jäh nach oben, schloß sich um etwas und sank auf den Tisch
zurück.
»Ich hab sie«, sagte meine Mutter.
»Was hast du?« wollte mein Vater wissen.
»Die Fliege.« Sie lächelte.
»Das glaub ich dir nicht…«
»Siehst du die Fliege irgendwo? Sie ist weg.«
»Sie wird rausgeflogen sein.«
»Nein, ich hab sie in der Hand.«
»So schnell ist niemand.«
»Ich hab sie in der Hand.«
»Quatsch.«
»Du glaubst mir nicht?«
»Nein.«
»Mach mal den Mund auf.«
»Na schön …«
Er machte den Mund auf. Meine Mutter hielt ihm die Faust davor und ließ los. Er sprang hoch
und griff sich an die Kehle.
»JESSAS!«
    Die Fliege kam ihm aus dem Mund und kurvte wieder
um den Tisch. »Das reicht!« sagte er. »Wir fahren
nach Hause!«
    Er ging aus der Tür, marschierte zur
Straße und stieg in den Model-T. Er saß sehr steif da und
sah finster drein.
    »Wir haben dir ein paar Konserven
mitgebracht«, sagte meine Mutter zu Tante Anna. »Tut mir
leid, daß wir dir kein Geld geben können, aber Henry hat
Angst, daß John es für Gin ausgibt. Oder für Benzin
für sein Motorrad. Es ist nichts Besonderes — Suppe,
Cornedbeef, Erbsen …« »Oh, Katherine, ich dank dir
ja so! Ich dank euch beiden …«
    Meine Mutter stand auf, und ich ging mit ihr
hinaus. Wir hatten zwei Schachteln voll Konserven im Auto. Mein Vater
saß immer noch so starr da. Er war immer noch wütend. Meine
Mutter gab mir die kleinere Schachtel heraus. Sie selbst nahm die
größere, und wir gingen wieder ins Haus zurück. Wir
setzten die Schachteln auf dem Tisch in der Frühstücksnische
ab.
    Tante Anna nahm eine Dose in die Hand. Es war
eine Dose Erbsen, das Etikett verziert mit einem Kranz von grünen
Erbsen. »Ist das schön«, sagte sie leise.
    »Anna, wir müssen jetzt gehn. Henry ist verärgert.«
    Die Tante umarmte meine Mutter. »Wir haben
so eine schreckliche Zeit durchgemacht. Aber das hier ist wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher