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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
Autoren: Charles Bukowski
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Andenken.«
»Vielen Dank.«
»Besser, du gehst jetzt. Sie werden sich fragen, wo du bleibst.«
»Is gut. Wiedersehn.«
»Wiedersehn, Henry. Nein, warte noch … «
Ich blieb stehen. Er griff mit zwei Fingern in ein kleines Täschchen vorne an seiner Weste,
und mit der anderen Hand zog er an einer langen goldenen Kette. Dann gab er mir seine
goldene Taschenuhr mitsamt der Kette.
»Dankeschön, Großvater … «
    Draußen warteten sie schon ungeduldig. Ich
stieg in den Model-T, und wir fuhren los. Während der Fahrt
redeten sie über alles mögliche. Sie hatten ständig
etwas zu reden, und auch diesmal ging ihnen der Gesprächsstoff
nicht aus, bis wir wieder vor dem Haus meiner Großmutter waren.
Sie redeten über alles mögliche, doch meinen Großvater
erwähnten sie mit keinem Wort.

    2

    Ich erinnere mich noch gut an den alten Model-T
Ford. Es war ein hochbeiniges Gefährt, das mit seinen breiten
Trittbrettern einladend und gutmütig wirkte. An kalten Morgen -
und oft auch sonst - musste mein Vater die Handkurbel vorne reinstecken
und mehrmals kräftig drehen, bis der Motor ansprang.
    »Dabei kann man sich den Arm brechen. Das
Ding haut zurück wie ein Pferd, das ausschlägt.« An
Sonntagen, wenn die Großmutter nicht zu Besuch kam, fuhren wir
mit dem Model-T aufs Land. Meine Eltern hatten eine Schwäche
für Orangenhaine, und davon gab es reichlich. Meilenweit nichts
als Bäume, die entweder blühten oder voll Orangen hingen.
Meine Eltern hatten immer einen Picknick-Korb und eine Metallkiste
dabei. Die Metallkiste enthielt Obstkonserven auf Trockeneis, und im
Picknick-Korb waren Wiener Würstchen, Brote mit Leberwurst und
Salami, Kartoffelchips, Bananen und Limonade. Die Limonade wanderte
ständig zwischen dem Korb und der Eiskiste hin und her. Sie gefror
sehr schnell und musste immer wieder aufgetaut werden.
    Mein Vater rauchte Camels und kannte allerhand
Tricks und Spiele, die mit der Packung zu tun hatten. »Wie viele
Pyramiden seht ihr da? Zählt sie mal.« Wir zählten sie,
und dann zeigte er uns, dass es noch mehr waren. Es gab auch Tricks mit
den Höckern der Kamele und der Beschriftung der Packungen. Camels
waren magische Zigaretten.
    Ein Sonntagsausflug ist mir besonders in
Erinnerung geblieben. Der Picknick-Korb war schon leer, aber wir fuhren
weiter durch die Orangenhaine und entfernten uns immer mehr von der
Gegend, in der wir wohnten.
    »Daddy«, sagte meine Mutter,
»wird uns nicht das Benzin ausgehen?« »Nein, das
verdammte Benzin wird uns nicht ausgehen.« »Wo fahren wir
denn hin?« »Ich werde mir ein paar gottverdammte Orangen
holen!«
    Meine Mutter machte sich sehr steif in ihrem Sitz. Mein Vater fuhr von der Straße herunter
und parkte an einem Drahtzaun. Wir saßen da und lauschten. Dann kickte mein Vater die Tür
auf und stieg aus.
»Bringt den Korb mit.«
Wir zwängten uns durch eine Lücke im Zaun.
»Haltet euch hinter mir«, sagte er.
    Dann waren wir zwischen zwei Reihen von
Orangenbäumen. Es war schattig hier. Nur wenig Sonne drang durch
die Zweige und Blätter. Mein Vater blieb stehen, langte hoch und
fing an, Orangen von den unteren Zweigen zu reißen. Er schien
wütend zu sein, so heftig riss er daran herum, und die Zweige
schnellten auf und nieder, als hätten auch sie eine Wut. Er warf
die Orangen in den Picknick-Korb, den meine Mutter mit beiden
Händen hielt. Manchmal traf er daneben, und ich rannte den Orangen
nach, brachte sie zurück und legte sie in den Korb. Mein Vater
ging von Baum zu Baum, zerrte an den unteren Zweigen und warf Orangen
in den Korb. »Daddy, das reicht doch jetzt«, sagte meine
Mutter. »Von wegen.« Er machte weiter.
    Plötzlich versperrte uns ein Mann den Weg. Er war sehr groß und hatte eine Schrotflinte in der Hand.
    »All right, Sportsfreund. Was glauben Sie
eigentlich, was Sie hier machen?« »Orangen pflücken.
Gibt hier ja genug davon.«
    »Das sind meine Orangen. Und jetzt
hören Sie mal gut zu: Sie werden jetzt Ihrer Frau sagen, sie soll
sie fallen lassen.«
    »Bei soviel gottverdammten Orangen werden Sie doch ein paar entbehren können.«
»Ich werd’ keine einzige entbehren. Sagen Sie Ihrer Frau, sie soll sie fallen lassen.«
Der Mann legte mit seiner Flinte auf meinen Vater an.
»Lass sie fallen«, sagte mein Vater.
Die Orangen rollten zu Boden.
»So«, sagte der Mann, »und jetzt raus aus meiner Plantage!«
»Sie brauchen doch diese Orangen nicht alle.«
»Ich weiß schon selber, was ich brauche. Raus hier!«
»Typen wie Sie sollte man
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