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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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spürte, dass das Wasser immer noch aus ihr hervorsprudelte, schwallartig, als hätte man ihren Unterleib mit den Niagarafällen verbunden. Und im nächsten Augenblick kam wieder eine Wehe über sie. Diesmal hatte sie dabei den unwiderstehlichen Drang, zu pressen.
    »Hundertzehn zu achtzig«, sagte hinter ihr eine Stimme. »Sie ist wieder da.«
    »Na prima.«
    Diese freundliche Stimme kannte sie doch? Das war doch… Sie drehte ihren Kopf.
    »Dr. Wagner?«
    »Ja, hier bin ich.«
    »Was ist… Wie bin ich…«
    Der Oberarzt trat in ihr Gesichtsfeld und lächelte sie an.
    »Sie sind im Kreißsaal. Für einen kurzen Augenblick haben Sie uns Sorgen gemacht, Frau Doktor. Sie sind ohnmächtig geworden, und Ihr Blutdruck ist in den Keller gerauscht, vermutlich eine Nebenwirkung des Wehenhemmers. Aber jetzt haben wir alles im Griff. Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen und können sich nun voll und ganz darauf konzentrieren, Ihr Baby zu bekommen.«
    »Aber hat denn der Wehenhemmer nicht…«
    Eine weitere Wehe schnitt ihr jedes Wort ab. Dr. Wagner ergriff ihre Hand und unterstützte sie beim Vorbeugen.
    »Gut so und pressen.« Er lächelte. »Anfangs sah alles gut aus, die Wehen wurden schwächer. Aber dann, wie aus heiterem Himmel und für uns unerklärlich, setzten die Wehen wieder ein.«
    »Ich sehe das Köpfchen!«, rief die Hebamme aus. »So, noch einmal, Frau Doktor, noch einmal pressen.«
    Beatrice ergriff ihre Oberschenkel, zog die Beine an und neigte das Kinn zur Brust.
    »Gut! Und pressen, pressen, pressen!«, riefen Dr. Wagner und die Hebamme im Chor.
    Das tue ich doch die ganze Zeit!, hätte Beatrice allen am liebsten ins Gesicht geschrien, doch sie hatte kaum noch genügend Luft zum Atmen.
    »Sie machen das hervorragend«, sagte Dr. Wagner.
    Beatrice hatte zwar den Verdacht, dass er das zu jeder Gebärenden sagte, einer dieser typischen Standardsprüche der Ärzte, aber trotzdem tat es gut, diese Worte zu hören. Schließlich war es für sie das erste Mal.
    Und wahrscheinlich auch das letzte Mal, dachte sie. Jede Frau, die diese Quälerei mehr als einmal auf sich nimmt, muss doch verrückt sein.
    Wieder kam eine Wehe. Wieder presste Beatrice so stark sie konnte.
    Sie hatte das Gefühl, jeden Moment würde ihr Kopf platzen. Wenn sie jetzt keine Hirnblutung kriegte, dann konnte sie sicher sein, dass sich dort kein bisher unbekanntes Aneurysma versteckte.
    Lange halte ich das nicht mehr aus, dachte sie und sank keuchend und schwitzend in das Bett zurück. Sie hatte keine Kraft mehr.
    »Jetzt nicht mehr pressen!«, rief ihr die Hebamme zu.
    Und dann ging plötzlich alles so schnell. Sie bekam noch eine Wehe, und im nächsten Augenblick hörte sie den zuerst schwachen und dann immer lauter werdenden, quäkenden Schrei eines Babys.
    »Es ist ein Mädchen«, sagte die Hebamme und legte ihr das kleine, vor sich hin wimmernde, nasse, schmierige und runzlige Geschöpf auf den Bauch. »Aber nur kurz. Die Kinderärztin muss sie noch untersuchen.«
    Beatrice sah auf das kleine Wesen hinab und strich mit ihrer Hand über das nasse schwarze Haar, das wie eine dunkle Badekappe an dem Köpfchen klebte. Ein Köpfchen, kaum größer als eine Orange, und trotzdem war dort schon alles vorhanden. Alle Möglichkeiten, alle Eigenheiten. Ihre kleine Tochter. Ein neuer Mensch. Ihr liefen die Tränen über die Wangen. Sie war wunschlos glücklich. Fast.
    Noch schöner wäre es, wenn Ali auch dabei sein könnte, dachte sie. Oder Dschinkim.
    Zwei Stunden später lag Beatrice in einem ruhigen Einzelzimmer der Entbindungsstation und schaute aus dem Fenster. Draußen schien der Mond, die Uhr auf dem Nachttisch zeigte ein Uhr dreißig. Es war alles in Ordnung. Ihre kleine Tochter lag im Brutkasten auf der Säuglingsstation zur Beobachtung. Zum Glück handelte es sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme. Sie war zwar sehr klein und wog nur knapp über zweitausend Gramm, aber dennoch waren alle Reifezeichen da, so als wäre sie ein normal ausgereiftes Baby und nicht ein Frühchen der dreißigsten Woche. Die Kinderärztin und die Schwestern waren darüber mehr als überrascht gewesen. Oft war sie nach dem errechneten Geburtstermin gefragt worden. Schließlich hatte man sich darauf geeinigt, dass sich der niedergelassene Gynäkologe geirrt hatte. Die Kinderärztin vertrat die Ansicht, dass Beatrice in Wirklichkeit etwa in der vierzigsten Woche gewesen und dass das mangelnde Geburtsgewicht ihrer kleinen Tochter auf den beruflichen Stress
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