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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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Olymp der Götter zu erheben?
    Vielleicht sollte ich mich wirklich mal mit einem Archäologen unterhalten, dachte Beatrice.
    Andererseits gefiel ihr die Vorstellung, dass die Hallen eines Tages leer geräumt sein würden, überhaupt nicht. Wenn die Archäologen dieses Grab jemals in ihre Finger bekämen, würde jede Statue, jede Truhe, jeder Dolch und jeder Ring mit einer Nummer und einem Schildchen versehen in einer Museumsvitrine landen. Dschingis Khans sterbliche Überreste würden obduziert und durch sämtliche Röhren der modernen Medizin geschoben werden, bis man ihm endlich seine Ruhe wiedergeben würde – allein und einsam in einem leeren, dann endgültig toten Grab. Nein, das sollte nicht geschehen. Er sollte nicht das Schicksal der Pharaonen, Inka und Maya teilen. Sollte Dschingis Khan seine Schätze behalten und weiterhin hier in Frieden ruhen, verborgen vor den gierigen Augen der Welt.
    Endlich erreichten sie den Sarkophag. Es war eigentlich nur ein aus Marmor gehauener Kasten mit einem Deckel aus demselben Material. Keine Inschrift, keine Verzierungen, kein Porträt deutete an, dass dies die letzte Ruhestätte des Dschingis Khans war. Aber gerade in dieser Schlichtheit wirkte der Sarkophag edel und erhaben. Tolui beugte seine Knie und lehnte die Stirn gegen den Marmor, als wollte er beten. Und als er sich wieder erhob, schimmerten seine Augen feucht.
    »Ich habe so lange darauf gewartet, am Grabe des großen Herrschers zu stehen«, sagte er leise. »Als ich ein kleiner Junge war, hat mein Vater mich hierher mitgenommen. Damals war ich noch nicht in der Lage, die wahren Wunder dieses Grabmals zu begreifen, und doch fühlte ich die Kraft, die von dem Sarkophag ausgeht. Und ich weiß noch, dass ich so von Ehrfurcht erfüllt war, dass ich zehn Tage lang kein einziges Wort mehr gesprochen habe. Doch jetzt, jetzt spüre ich es ganz deutlich. Obwohl der große Herrscher schon viele Jahre tot ist, schlägt hier immer noch das Herz meines Volkes.«
    Beatrice schwieg. Tolui sprach ihr aus der Seele. Doch im Gegensatz zu ihm spürte sie noch etwas anderes. Es war wie ein Magnet oder wie eine Stimme, die sie zu sich rief, mal fordernd, mal lockend.
    »Nun lass uns diesen Stein suchen«, sagte Tolui und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Aber wo wollen wir anfangen?«
    »Im Sarkophag«, antwortete Beatrice, ohne nachzudenken.
    Tolui wurde bleich. »Aber wir können doch nicht einfach die Gebeine meines Großvaters schänden!«, rief er entrüstet. »Das werde ich niemals zulassen.«
    »Wir werden ihn auch nicht schänden«, beschwichtigte Beatrice und hielt plötzlich die Luft an. Was war das denn? Ein heftiger Schmerz überrollte sie. Eine Art Krampf oder Kolik. Übelkeit wallte auf. Sie krümmte sich und hielt sich am Sarkophag fest. Was war nur heute mit ihr los?
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Tolui besorgt.
    »Ich weiß nicht…«
    Dann war es ebenso plötzlich wieder vorbei, wie es gekommen war. Beatrice richtete sich auf und lächelte.
    »Geht schon wieder, nur eine kleine Kolik. Vielleicht spielen mein Magen und mein Darm verrückt wegen der ungewohnten Nahrung der vergangenen Tage. Es ist nichts weiter.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Ich verspreche dir, Tolui, dass wir deinem Urgroßvater kein Leid zufügen werden. Wir heben lediglich den Deckel ab und schauen nach, ob der Stein dort ist. Und dann machen wir den Deckel wieder zu.«
    Tolui holte tief Luft. »Gut. Aber lass es mich allein tun. Kein Angehöriger eines anderen Volkes soll einen Blick auf den großen Dschingis Khan werfen dürfen.«
    »In Ordnung«, stimmte Beatrice zu und setzte sich auf einen Marmorblock. Sie war erleichtert, sich einen Augenblick lang ausruhen zu können. Auch wenn sie es nicht gern zugab, sie fühlte sich plötzlich matt und hätte sich am liebsten hingelegt. Vielleicht war es ja doch mehr als ein paar Darmkrämpfe? Vielleicht litt sie unter einer Infektion?
    Sie beobachtete Tolui, der mühsam den Deckel zur Seite schob. Schließlich war das Loch groß genug, um hineinzuschauen. Seine Miene wurde fast zärtlich, als er einen Blick in den offenen Sarkophag warf. Und dann wusste Beatrice plötzlich, dass der Stein der Fatima wirklich da war, noch bevor Tolui was sagen konnte. Etwas wie ein bläulicher Schimmer erschien auf seinem Gesicht.
    »Du hattest recht«, sagte er und griff in die Tiefe des Sarkophags, vorsichtig und behutsam, als wollte er den großen Herrscher nicht wecken. Er zog seine Hand wieder hervor und hielt
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