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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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in eine andere Gegenwart: Vier, fünf und mehr Leitungsebenen zwischen Arbeitern und Topmanagement nehmen konkurrierende Aufgaben bei oft geringen Handlungsspielräumen wahr. Je mehr Leitungsebenen aber, desto mehr |26| Kontrollenergie – Kontrollenergie, die praktisch nichts zur Wertschöpfung beiträgt. Im Gegenteil: Erfolgserlebnisse zerfasern.
    Unternehmen sind nahezu die letzten feudalistischen Enklaven der Gegenwart. Man lausche nur einigen Worten: Weisungsrecht – Zielvorgabe – Vorgesetzter – Belehrung – Kontrollspanne – Unterweisung – Dienstaufsicht – Untergebener. Der ehemalige deutsche McKinsey-Chef Herbert Henzler: »Es läuft noch immer nach der Methode Clausewitz: Einer sagt, wo es langgeht – und alle marschieren hinterher.« Die Denkfigur des Oben und Unten, die Kontroll-Metapher dominiert: »Als Chef überlege ich mir, was zu tun ist, treffe Entscheidungen, und dann motiviere ich die Mitarbeiter, damit sie das ausführen. Anschließend kontrolliere ich die Ergebnisse und belohne bzw. bestrafe entsprechend.« Die Attitüde: »Ich bin hier der Boss, also tu, was ich Dir sage.« Ergo warten die Mitarbeiter auf den Chef, bis er ihnen was sagt. »Aber ich habe die Anstrengungen einer Karriere über all die Jahre doch nur auf mich genommen, damit ich etwas verändern kann, damit die Dinge so gemacht werden, wie ich es will.« Klar – und es hat Konsequenzen. Mitarbeiter versuchen, den Boss zufriedenzustellen, statt Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Oder sich zumindest so zu verhalten, dass sie keinen Ärger bekommen. In Gremien wird viel Zeit darauf verwendet, zu überlegen, was der Chef wohl wollen könnte. Aus Angst um ihre Karriere sagen Mitarbeiter nur das, was ankommt, und nicht, worauf es ankommt.
    Das hat viel zu tun mit der Frage: Wer macht im Unternehmen Karriere? Überschaut man die Forschung, dann verbringen Manager zwischen 60 und 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Fachtätigkeiten. Ihrer inneren Einstellung zufolge sind die allermeisten so genannten Führungskräfte aufgestiegene Sachbearbeiter. Und wollen es eigentlich auch bleiben. Führung? Das ist doch keine Arbeit! Das macht man doch so nebenbei! Die Folge davon ist, dass Entscheidungen tendenziell ein bis zwei Hierarchieebenen höher getroffen werden, als es aus sachlichen Gründen geboten wäre. Auf der Strecke bleibt die Selbstverantwortung. Deshalb wird am meisten der fähige Sachbearbeiter gefürchtet: »Was bleibt von mir, wenn der so gut ist, dass er ohne Korrektur und Kontrolle auskommt?«
    |27| Entsprechend inszenieren nicht wenige Führungskräfte ihre Unersetzlichkeit als letztes Bollwerk ihrer Würde. Für mich ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, dass Führungskräfte keinen Tag im Seminar verbringen können, ohne ständig telefonieren zu müssen, Faxe zu erhalten und abzusenden, noch kurz mal eben … Zweimal täglich rufen sie aus dem Urlaub an und fallen in eine milde Depression, wenn sie hören, alles laufe auch ohne sie bestens. Wenn aber Führungskräfte unersetzlich sind, dann haben sie versagt. Dann sind sie allenfalls gute Fachkräfte – denn nur die werden kurzfristig »gebraucht«.
    Wie wichtig die Enthierarchisierung in diesem Sinne ist, möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Bei den Vereinigten Papierwerken Schickedanz hatte man sich sehr früh um die Einrichtung teilautonomer Arbeitsgruppen bemüht. Mit unterschiedlichem Erfolg. Nicht wenige Mitarbeiter hatten nach Jahrzehnten der Unmündigkeit verlernt, Verantwortung zu übernehmen. Nur eine Mitarbeitergruppe hatte keinerlei Schwierigkeiten: die Nachtschicht. Die Mitarbeiter der Nachtschicht arbeiteten schon seit Jahren nahezu hierarchiefrei als Team zusammen. Der Betriebsleiter schlief; man musste sich selbst helfen, wenn etwas fehlte. Ein Nachtschichtler erzählt: »Als ich einmal merkte, dass der Leim für ein Tissue-Produkt zur Neige ging, bin ich um 3 Uhr morgens mit meinem Privat-Pkw los, um in einem Nachbarwerk den Kleber zu besorgen. 650 Liter. Meine alte Kiste brach fast zusammen. Aber ich hatte das Zeug. Tagsüber hätte ich erst einmal vier Formulare schreiben, drei Leute fragen und dann noch die Spedition beauftragen müssen.«
    Sein Letzter Wille war sein erster
    Erinnern Sie sich noch an das Geiseldrama in Gladbeck? Ich hatte kurz danach Gelegenheit, die Polizei-Leiter S und K in Nordrhein-Westfalen zu den Konsequenzen für das Thema Mitarbeiterführung zu beraten. Die Sachlage war klar: Die Polizisten vor Ort wollten
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