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Das Phantom auf dem Feuerstuhl

Das Phantom auf dem Feuerstuhl

Titel: Das Phantom auf dem Feuerstuhl
Autoren: Stefan Wolf
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gehört zu den Insekten aus der
Überordnung der Geradflügler. Sie ist mit sprungkräftigem hinterem Beinpaar und
Zirporgan ausgerüstet. Wenn sie in Schwärmen auftaucht, kann ihre
Verfressenheit katastrophal sein. Heuschreckenschwärme putzen in
Mittelmeerländern ganze Felder leer, und die Bauern können die Ernte abschreiben.“
    „Aha!“ sagte Klößchen.
    „Dann ist ja auch klar“, schaltete Gaby
sich ein, „daß Willi gemeint ist. Wegen des Appetits.“
    „Aber nicht wegen der sprungkräftigen
Hinterbeine“, lachte Tarzan. „Und zirpen kann er auch nicht. Außerdem taucht er
— Gott sei Dank! — nicht als Schwarm auf. Sonst müßte man weltweit um die
Kakao-Ernte fürchten.“
    „Hahah!“ machte Klößchen. „Statt auf
mir rumzuhacken, solltet ihr überlegen, wer der Analphabet ist. Der muß Karls
Zelt ersetzen. Ist doch klar.“
    „Du hast recht“, nickte Tarzan. „Statt
zu überlegen, reden wir blöd. Aber so eine Niedertracht geht nicht nur an die
Nieren, offenbar geht sie auch aufs Hirn.“
    Er sah zu Gaby hin. Sie hatte sich
gebückt und streichelte Oskar. Der hatte den Kopf gereckt und himmelte sie an.
Dicke Tränen kullerten über Gabys hübsches Gesicht.
    Tarzan trat zu ihr. Unbeholfen klopfte
er ihr auf die Schulter.
    „Mich ärgert’s auch, Gaby. Aber so ist
es nun mal. Es gibt so’ne und solche: Dufte Kumpel und Dreckskerle. Damit muß
man sich abfinden.“
    Gaby sah ihn an. Sie versuchte zu
lächeln. Tarzan hatte — obwohl er ein handfester Junge war — ihre Empfindung
gespürt: Empörung und Trauer über diese sinnlose Tat.
    Gaby nickte, schnüffelte und suchte
nach ihrem Taschentuch. Aber die Jeanstaschen waren so eng, daß sie’s in der
Eile nicht herausziehen konnte. Tarzan gab ihr sein Taschentuch.
    „Ist noch sauber. Weiß — weißer geht’s
nicht. Seit der letzten Wäsche ist es so. Vorher war’s rotkariert.“
    Karl lachte. „Das haben die modernen
Waschmittel an sich.“
    Eine Weile standen sie schweigend auf
der Lichtung. Oskar hechelte. Irgendwo im Wald hämmerte ein Specht. Leichter
Wind strich durch die Büsche. Die Blätter flüsterten. Man roch den See und sein
mooriges Wasser. Überall war Stille. „Ich schlage vor“, sagte Tarzan, „wir
fahren zur Phantom-Brücke und sehen uns dort um. Auf dem Rückweg besuchen wir
Herrn Ströter in Klettenborn. Wahrscheinlich wohnt der schon lange im Dorf.
Sicherlich kennt er jeden und kann uns einen Tip geben. Vielleicht erkennt er
sogar die Handschrift, wenn ich ihm den Zettel zeige.“
    Er faltete ihn zusammen und schob ihn
in die hintere Tasche seiner Jeans.

4. Der Verdächtige am Waldrand
     
    Sand knirschte unter den Reifen. Oskar
hechelte neben Gabys Rad. Aber Klößchen schnaufte noch lauter.
    Dort hinten war der Wald zu Ende.
Sonnenlicht schimmerte durch die Bäume. Jetzt sah Tarzan die Brücke.
    Niemand war dort. Das Geländer blinkte
in der Sonne. Die schwarze Bremsspur eines Autoreifens zeichnete sich auf den
Asphalt.
    Die Kinder hielten an. Niemand redete.
Der Wald lag hinter ihnen. Von hier sah man weit über Felder und Wiesen. Das
Dorf Klettenborn duckte sich in eine Senke. Wie ein mahnender Finger reckte
sich der Kirchturm in den Himmel. Auf einem Acker in der Ferne arbeiteten
Bauern. Gedämpft hörten die Kinder das Tuckern eines Treckers. Im hohen Blau
über den Feldern standen Lerchen. Der Wind schien sie zu tragen. Einzige
Erhebung weit und breit war ein knorriger Baum. Einsam döste er am Schnittpunkt
zweier Feldwege in der Hitze des frühen Nachmittags.
    „Hier stand das Phantom.“ Tarzan
stellte sich auf die Stelle und deutete hinunter auf die Landstraße. „Von dort
kamen wir.“
    In beide Richtungen konnten die Kinder
ein weites Stück sehen.
    „Als wir etwa dort waren — in Höhe des
Kilometersteins“, sagte Tarzan, „habe ich ihn bemerkt. Da stand er noch still.
Erst als wir näher waren, riß er den Stein hoch. Ganz genau wußte der Kerl,
wann er werfen muß. Sein Motorrad, sprich Feuerstuhl, war sicherlich unter den
Bäumen. Durch den Wald ist er dann getürmt. Und auf der anderen Seite konnte
er, wie wir wissen, in jede Richtung abhauen.“
    Sie traten zu dem anderen Geländer,
blickten hinab, und Tarzan zeigte, wo sie sich überschlagen hatten. Narben im
Gras der Böschung zeigten die Stelle an.
    Dann begann die Suche. Das war
schwierig, denn keiner wußte, wonach er suchen sollte.
    Klößchen fand einen halben Bierdeckel,
der mindestens zwei Jahre alt war. Karl kam mit einer
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