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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11
Autoren: Émile Zola
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den Taschen, gleichsam überrascht von diesem ersten Winterschauer. Die meisten gingen allein und verschwanden im Hintergrund des Warenhauses, ohne mit ihren Kollegen ein Wort zu wechseln oder sie auch nur anzublicken. Andere kamen zu zweien oder dreien; in lebhaftes Gespräch vertieft, nahmen sie die ganze Breite des Bürgersteigs ein. Und alle warfen, bevor sie eintraten, mit der gleichen Handbewegung den Rest ihrer Zigarre oder Zigarette in den Rinnstein.
    Denise bemerkte, daß mehrere der Männer sie im Vorübergehen anblickten. Da nahm ihre Schüchternheit noch zu. Sie fühlte nicht mehr die Kraft, ihnen zu folgen, und beschloß zu warten, bis der Strom der Angestellten versiegte. Sie errötete bei dem Gedanken, unter der Tür zwischen all diesen Männern hin- und hergestoßen zu werden. Um den Blicken zu entgehen, machte sie langsam die Runde um die Place Gaillon.
    Als sie zurückkam, fand sie vor dem »Paradies der Damen« einen langen, blassen, schlaksigen Jüngling, der gleich ihr seit einer Viertelstunde hier zu warten schien.
    »Fräulein«, fragte er sie endlich mit stotternder Stimme, »sind Sie vielleicht Verkäuferin hier in diesem Haus?«
    Sie war so verblüfft darüber, von einem ihr unbekannten jungen Mann angesprochen zu werden, daß sie nicht sogleich antwortete.
    »Ich möchte nämlich gern hier unterkommen«, fuhr er noch verlegener fort, »und ich dachte, daß Sie mir vielleicht Auskunft geben könnten.«
    »Ich würde Ihnen gern helfen«, antwortete sie endlich; »aber es geht mir wie Ihnen; ich will mich auch vorstellen.«
    »Ach so! Ganz recht!« sagte er, völlig außer Fassung.
    Nun erröteten sie alle beide; schweigend und schüchtern standen sie einander gegenüber, gerührt durch die Ähnlichkeit ihrer Lage und doch zu zaghaft, um sich gegenseitig laut einen guten Erfolg zu wünschen. Als schließlich keiner von beiden mehr etwas zu sagen wußte und ihre Verwirrung nur größer wurde, gingen sie linkisch auseinander und warteten einige Schritte entfernt, jeder für sich.
    Immer noch kamen Angestellte. Denise hörte sie ihre Spaße machen, wenn sie an ihr vorüberkamen und ihr einen Seitenblick zuwarfen. Sie wurde immer verlegener, das Ziel so vieler Blicke zu sein, und entschloß sich gerade, einen Spaziergang von einer halben Stunde durch das Stadtviertel zu machen, als der Anblick eines jungen Mannes, der raschen Schritts aus der Rue Port Mahon kam, sie einen Augenblick zurückhielt. Es mußte ein Abteilungsleiter sein, denn alle Angestellten grüßten ihn. Er war groß, die Haut zart und hell, der Bart sorgfältig gepflegt; seine Augen, die er im Vorbeigehen einen Moment auf ihr ruhen ließ, waren goldbraun und samtweich. Er war längst mit gleichgültiger Miene im Warenhaus verschwunden, als sie noch immer unbeweglich, wie gebannt von diesem Blick dastand, von einer seltsamen Erregung ergriffen, in der ein Gefühl des Unbehagens überwog. Wieder kam die Angst über sie; sie ging langsam die Rue Gaillon, dann die Rue Saint-Roch hinab in der Hoffnung, ihren Mut wiederzufinden.
    Der junge Mann war mehr als ein Abteilungsleiter; es war Octave Mouret selbst. Er hatte die verflossene Nacht nicht geschlafen; nach einer Abendgesellschaft bei einem Wechselagenten war er mit einem Freund und zwei Frauen, die sie hinter den Kulissen eines kleinen Theaters aufgelesen hatten, noch essen gegangen. Sein zugeknöpfter Mantel verbarg den Frack und die weiße Krawatte. Er stieg rasch in seine Wohnung hinauf, um sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln. Als er in sein Arbeitszimmer, das im Zwischenstock lag, zurückkehrte und an seinem Schreibtisch Platz nahm, war er wieder frisch, sein Blick war klar, er war völlig beim Geschäft, als habe er zehn Stunden in seinem Bett zugebracht. Das geräumige Arbeitszimmer hatte eichene, mit grünem Rips überzogene Möbel. Die einzige Zierde des Raumes war ein Bild: das Porträt jener Frau Hédouin, von der man im Stadtviertel noch immer sprach. Octave bewahrte ihr ein zärtliches Andenken und zeigte sich im Gedächtnis sehr dankbar dafür, daß sie ihm durch die Heirat ein Vermögen zugebracht hatte. Bevor er daran ging, die Wechsel zu unterschreiben, die auf seinem Tisch lagen, warf er auch jetzt ein Lächeln zu dem Bild empor, das Lächeln eines Glücklichen. Hier vor ihren Augen fand er sich immer wieder ein, um zu arbeiten, wenn er sich die Zerstreuungen eines jungen Witwers gegönnt hatte, wenn er aus den Schlafzimmern heraus war, in die er sich in
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