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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11
Autoren: Émile Zola
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seinem Bedürfnis nach Vergnügen verirrt hatte.
    Es klopfte an die Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat ein junger Mann ein, groß und hager, mit schmalen Lippen, spitzer Nase, elegant gekleidet, die langen Haare, in denen schon einige graue Strähnen zu sehen waren, glatt nach hinten gestrichen. Mouret schaute einen Moment auf, dann sagte er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen:
    »Gut geschlafen, Bourdoncle?«
    »Danke, sehr gut«, erwiderte der junge Mann, der mit vertraulicher Ungezwungenheit im Raum umherging.
    Bourdoncle, Sohn eines armen Pächters aus der Umgebung von Limoges, war gleichzeitig mit Mouret im »Paradies der Damen« eingetreten zu einer Zeit, als das Geschäft noch kaum mehr als die Ecke der Place Gaillon einnahm. Sehr klug, sehr tätig, schien er damals ganz dazu angetan, seinen Kameraden zu verdrängen, der, weniger ernsthaft veranlagt, ständig mit Weibergeschichten zu tun hatte. Allein Bourdoncle hatte nicht den genialen Zug dieses leidenschaftlichen Provenzalen, es fehlte ihm dessen kühner Schwung, seine überwältigende Liebenswürdigkeit. Übrigens hatte er sich mit sicherem Instinkt vom ersten Augenblick an widerstandslos dem andern gebeugt. Als Mouret seinen Angestellten den Rat erteilt hatte, ihr Geld in seinem Geschäft anzulegen, hatte Bourdoncle als einer der ersten nachgegeben und ihm sogar eine Erbschaft anvertraut, die ihm von einer Tante unerwarteterweise zugefallen war. Und nachdem er alle Stufen emporgeklettert war, erst Verkäufer, dann Zweiter, schließlich Leiter der Seidenabteilung, war er schließlich einer der Stellvertreter des Inhabers geworden, der geschätzteste und angesehenste, einer der sechs Teilhaber, die den Chef in der Leitung des Hauses unterstützen, eine Art Ministerrat unter einem absoluten Herrscher. Jeder von ihnen überwachte ein Teilgebiet; Bourdoncle hatte die Oberaufsicht.
    »Und wie haben Sie die Nacht zugebracht?« fragte er vertraulich.
    Als Mouret ihm erwiderte, daß er gar nicht zu Bett gegangen sei, schüttelte er den Kopf und brummte:
    »Sehr unvernünftige Lebensweise!«
    »Wieso denn?« meinte der andere vergnügt. »Ich bin weniger müde als Sie. Sie haben vom Schlaf verklebte Augen; Sie werden ganz schwerfällig, wenn Sie allzu solide sind. Amüsieren Sie sich: das muntert die Gedanken auf.«
    Sie stritten oft freundschaftlich über diesen Gegenstand. Bourdoncle hatte anfangs seine Geliebten geprügelt, weil sie, wie er sagte, ihn nicht schlafen ließen. Jetzt gestand er offen, daß er die Frauen hasse. Indessen hatte er sicherlich auswärts Zusammenkünfte, von denen er nicht sprechen wollte, so wenig berührten sie sein Inneres; er begnügte sich damit, im Geschäft die weiblichen Kunden auszubeuten, wobei er sich voller Verachtung über die Leichtfertigkeit ausließ, mit der sie ihr Geld für so manchen unnützen Tand vergeudeten. Mouret dagegen tat sehr entzückt, war in Gegenwart der Frauen stets verführerisch, liebenswürdig und fortwährend in neue Liebschaften verwickelt. Und diese Liebschaften waren gleichsam eine Reklame für sein Geschäft; man war versucht zu sagen, daß er das ganze schöne Geschlecht in einer einzigen Umarmung umfange, um es desto sicherer zu betören und sich dienstbar zu machen.
    »Ich habe gestern auf dem Ball Frau Desforges gesehen«, fuhr er fort. »Sie war reizend.«
    »Aber Sie haben nicht etwa anschließend mit ihr gegessen?« fragte sein Teilhaber.
    »Wo denken Sie hin!« rief Mouret. »Sie ist viel zu anständig für so etwas, mein Lieber … Nein, soupiert habe ich mit Héloise, der kleinen Schauspielerin aus den Folies. Sie ist dumm wie eine Gans, aber sehr drollig!«
    Er nahm ein neues Bündel Wechsel zur Hand und fuhr fort zu unterschreiben. Unterdessen ging Bourdoncle im Zimmer auf und ab. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick durch die hohen Fensterscheiben auf die Rue Neuve-Saint-Augustin; dann kam er zum Schreibtisch zurück und sagte:
    »Sie werden sich rächen.«
    »Wer denn?« fragte Mouret zerstreut.
    »Nun, die Frauen.«
    Diese Bemerkung versetzte Mouret erst recht in heitere Stimmung; er kehrte die Brutalität hervor, die sich unter all der Anbetung der Frauen verbarg. Verächtlich zuckte er die Achseln, um gleichsam damit auszudrücken, daß er sie wie leere Säcke abschütteln werde, sobald sie ihm zum Aufbau seines Vermögens verholfen hätten. Bourdoncle aber wiederholte eigensinnig:
    »Sie werden sich rächen … Es wird sich eine finden, die alle übrigen rächt; es ist ein
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