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Das Orakel der Seherin

Das Orakel der Seherin

Titel: Das Orakel der Seherin
Autoren: Christopher Pike
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Herzpatienten im letzten Stadium.
    Seymour und Paula sind nirgends zu sehen. Dr. Seter hat seinen letzten, endgültigen Herzinfarkt erlitten, und ich brauche nicht viel Phantasie, um mir vorzustellen, was ihn ausgelöst hat. James ist mit dem Kind zurückgekommen und hat ihm eröffnet, daß er keineswegs der nette, liebe Sohn ist, für den ihn alle gehalten haben. Als ich neben dem Doktor niederknie, öffnet er die Augen und ringt nach Luft.
    »Sie bluten«, sagt er.
    Alles an mir ist blutgetränkt, aber ich blute nicht länger.
    »Mir geht es gut.« Ich lege eine Hand auf seine Brust und spüre seinen stolpernden Herzschlag. »Kann ich Ihnen einen Arzt holen?« Ich weiß, daß ihm kein Arzt dieser Welt mehr helfen kann, und so bin ich erleichtert, als er den Kopf schüttelt.
    »Es ist vorüber«, sagt er, und sein Gesicht ist unendlich traurig. »Ich habe es nicht gewußt.«
    »Ich auch nicht.«
    Seine Stimme klingt bitter. »Suzama hat uns beide angelogen.«
    »Nein. Das meiste, was die Schrift gesagt hat, war wahr. James hat den Teil über Kalika selbst verfaßt.« Ich zögere. »Sie war meine Tochter.«
    Er ist fassungslos. »Wo ist sie jetzt?«
    »Auf der Insel. Sie ist tot.« Ich seufze. »Wir waren so dumm.«
    Er weint über meinen Schmerz. »Ich war dumm. Meine Arroganz hat mich glauben lassen, daß Gott mir Visionen schickt. Daß ich Gottes Geist verstehen kann.« Er hustet. »James hat mir diesen Traum eingepflanzt. Er hat mich zu der Schrift geführt.«
    Ich nicke. »Er führte Sie an den Ort, an dem er sie vergraben hatte.«
    »Aber warum hat er das alles getan. Wie konnte er es tun?«
    »Er war niemals Ihr Sohn. Er drängte sich nur in Ihr Leben, um Sie zu benutzen. Er hat den Körper eines jungen Mannes, aber er ist weder jung noch menschlich. Geben Sie sich nicht die Schuld an allem, Dr. Seter. Ich habe schon vor langer Zeit einmal mit dieser Kreatur gekämpft, und trotzdem habe ich ihn nicht erkannt. Wenn jemand schuldig ist, dann bin ich es.«
    Er starrt mich an. »Wer sind Sie, Alisa?«
    »Ich bin Ihre Freundin.« Ich drücke ihn vorsichtig. »Und ich werde das Kind zurückholen.«
    Meine Worte scheinen ihn zu trösten. Er stirbt eine Minute später mit einem friedvollen Ausdruck auf dem Gesicht. Er war ein guter Mann, das weiß ich.
    Plötzlich steht Paula hinter mir.
    »Sita«, sagt sie sanft.
    Ich wende mich um und sehe sie an. Um ihren Hals trägt sie einen blauen Schal, der von goldenen Fäden durchzogen ist. Die Fäden haben ein wundervolles Muster, aber ich bin zu sehr in Eile, um ihm größere Beachtung zu schenken. Ich lasse Dr. Seter los, erhebe mich und trete neben sie.
    »Ich weiß, wohin der Feind dein Kind bringt«, sage ich.
    Sie nickt. Sie glaubt mir, sie hat es immer getan. Soviel Vertrauen.
    »Dein Freund«, sagt sie.
    Ich packe entsetzt ihre Arme. »Seymour!«
    Mit dem Kopf weist sie zur Seite. »Er ist vorne. Eine Kugel hat ihn getroffen.«
    »Ist er tot?« frage ich.
    Sie zögert. »Nah daran.«
    Ich blicke auf die kleine Insel inmitten der Smaragdbucht. Vor wenigen Minuten bin ich von dort herübergeschwommen. Es ist nicht einfach gewesen, den Körper meiner Tochter dort zu lassen.
    »Besorg ein Boot«, fordere ich Paula auf. »Es war meine Tochter, die dein Kind entführt hat, aber sie wollte es nur beschützen. Ihr Leichnam ist auf der Insel, im Haus. Bitte bring sie hierher und wickle sie in eine Decke, bis ich wiederkomme.« Damit wende ich mich ab. »Ich werde mich um Seymour kümmern.«
    Sie hält mich auf. »Ich werde dich zu deinem Freund begleiten.«
    Ich schüttle den Kopf. »Nein, Paula. Ich muß mit ihm allein sein, damit ich ihm helfen kann.«
    In ihren Augen glitzern Tränen. »Deine Tochter hat ihr Leben gegeben, um Johns zu retten?«
    »Ja. Sie hat mehr gegeben, als wir alle wußten.«
    Seymour liegt fünfzig Meter oberhalb von Paulas Haus in einer Lache seines eigenen Blutes. Er liegt auf der Seite, schmerzhaft eingequetscht zwischen zwei riesigen Felsblöcken. James hat ihm in den Magen geschossen. Jetzt ist er bewußtlos und siecht rasch dahin. Das Kind ist nicht da, und diesmal habe ich auch nicht das Mysterium und die Magie des ganzen Universums in Form von ein paar Blutstropfen in einem kleinen Gefäß in der Tasche. Die einzige Möglichkeit, ihn zu retten, ist, ihm seinen ältesten Wunsch zu erfüllen. Ich werde es für ihn tun, weil ich ihn liebe – und weil ich weiß, daß Krishna mir vergeben wird. Wenn es mir gelingt, das Kind zu finden und es so
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