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Das Nest

Titel: Das Nest
Autoren: Val McDermid
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über.
    Lindsay nahm gerade auf einem harten Holzstuhl im Hintergrund Platz, als eine müde und angegriffen wirkende Deborah hereingeführt wurde. Offensichtlich hatte sie in Jeans und Bluse geschlafen, das Haar hing ihr ungewaschen ins Gesicht. Nicht zum ersten Mal fiel Lindsay auf, wie die Haftbedingungen einer jeden Person in Polizeigewahrsam automatisch das Aussehen einer Landstreicherin verliehen.
    Während ein uniformierter Beamter die Anklage verlas, glitt Deborahs Blick durch den Gerichtssaal. Bei Lindsays Anblick huschte ein erleichtertes Lächeln über ihre Züge. Dann wandte sie sich wieder dem Gericht zu und beantwortete die Frage nach ihrer Darstellung der auf öffentliche Ruhestörung lautenden Anklage. »Schuldig«, kam es laut und sarkastisch von ihren Lippen. Zu dem nächsten Anklagepunkt bekannte sie sich ebenso klar und eindeutig: »Nicht schuldig.«
    Die ganze Angelegenheit dauerte nicht länger als zehn Minuten. Deborah wurde wegen öffentlicher Ruhestörung zu fünfzig Pfund plus fünfzehn Pfund Gerichtskosten verurteilt und nach einer Kautionszahlung an den Obersten Gerichtshof, vor dem der Geschworenenprozeß wegen tätlichen Angriffs stattfinden sollte, auf freien Fuß gesetzt. Die Kaution war mit 2500 Pfund festgesetzt worden, unter der Bedingung, daß Deborah sich täglich beim Kommissariat in Fordham meldete, sich Crabtrees Haus nicht weiter als auf 200 Meter näherte und Crabtree selbst aus dem Weg ging. Danach nahmen die Formalitäten ihren Lauf. Lindsay schrieb einen Scheck aus und betete, daß er nie eingelöst werden mußte. Judith trug ihn zur Gerichtskasse und Lindsay kehrte zu Cara zurück, die sie bereits von fern bestürmte: »Wo ist meine Mami? Du hast gesagt, du bringst sie mit.«
    Lindsay nahm das Kind in die Arme. »Gleich kommt sie, ganz sicher.« Noch bevor sie Cara wieder abgesetzt hatte, rief das Mädchen: »Mami!« und riß sich los, um den Gang hinunter und in Deborahs Arme zu stürzen, die mit Judith auf sie zukam. Nach einiger Zeit löste sich Deborah aus der Umarmung und ging zu Lindsay hinüber. Wortlos hielten die beiden Frauen einander fest.
    Lindsay spürte, wie die altbekannte Elektrizität sie überschwemmte und zog sich zurück. Sie hielt Deborah auf Armlänge und sagte: »Hallo.«
    Deborah lächelte. »Ein solches Wiedersehen hatte ich nicht geplant«, meinte sie mit Bedauern in der Stimme.
    »Champagner und Rosen kriegst du ein anderes Mal«, erwiderte Lindsay.
    »Champagner und Rosen? Na, du hast es ja zu was gebracht, mein lieber Schwan. Das letzte Mal waren es noch eine Flasche Bier und eine Tüte Kartoffelchips.«
    Sie lachten, als Judith, die diskret Abstand gehalten hatte, zu ihnen herüberkam und sagte: »Danke für deine Hilfe, Lindsay. Jetzt brauchst du nur noch zu beten, daß Deborah keinen Unsinn macht!«
    »Kommt nicht in Frage«, versicherte Deborah. »Das würd’ ich nie wagen. Lindsays Motto war immer: ›Mir kommt niemand in die Quere‹, und wie ich sie kenne, hat sich da bestimmt nichts geändert.«
    Lindsay lächelte. »Ich bin sogar noch härter geworden«, behauptete sie. »Komm, ich bring’ dich ins Camp, bevor ich nach London zurück muß.«
    Sie verabschiedeten sich von Judith und machten sich auf den Weg Richtung Parkplatz. »Dann kannst du also nicht bleiben?«, bemerkte Deborah nebenbei zu Lindsay.
    Lindsay schüttelte den Kopf. »Leider nein – obwohl ich wahnsinnig gern würde, aber ich hab’ heute Nachtdienst.«
    »Du kommst doch bald wieder, Lin, nicht wahr?«
    Lindsay nickte. »Sowieso. Außerdem fahr’ ich ja auch nicht gleich weiter. Eine Kaffeepause im Campingbus ist auf jeden Fall noch drin.«
    Als sie die Türen des Gerichtsgebäudes aufstießen, stolperten sie beinahe über zwei Männer, die unmittelbar vor dem Eingang standen. Das plakativ gute Aussehen des größeren der beiden, eines leicht angegrauten Lockenkopfes, wurde allerdings von einer geschwollenen und blau geschlagenen Nase und dunklen Flecken unter seinen Augen grob beeinträchtigt. Bei Deborahs Anblick trat ein erstaunter Ausdruck in seine Augen, dann bemerkte er boshaft: »So schnell verstoßen Sie also gegen die Kautionsbedingungen, Miss Patterson. Ich könnte Ihre Verhaftung fordern, das wissen Sie. Und ein zweites Mal kriegen Sie keine Kaution.«
    Wütend trat Lindsay auf ihn zu, während Deborah ihre Tochter schützend an sich zog. »Für wen halten Sie sich eigentlich?« fuhr sie ihn aufgebracht an.
    »Wenden Sie sich lieber an Ihre Freundin«,
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