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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
Autoren: Henry Slesar
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aufgebaute Springer-Läufer-Bauern-Falle in die Enge getrieben hatte. Der Dok­tor gab lachend auf und sagte: »Die allmächtige Königin! Was wäre dieses Spiel ohne sie?«
    Crandall sah ihn scharf an, aber die Augen des Arztes waren ausdruckslos.
    Sie saßen eine Weile in tiefem, verstehendem Schweigen da, dann sagte Crandall: »Vor dir kann man aber auch gar nichts verbergen, du alter Fuchs. Du weißt, was mir Kummer macht. Es ist dieses Mädchen.«
    »Du meinst Celeste?«
    »Natürlich meine ich Celeste«, grummelte Crandall. Der Klang ihres Namens zauberte ihr goldenes Bild vor sein inneres Auge. Celeste mit dem golden strömenden Haar und dem schmalen, abgehärmten, lieblichen Gesicht. Ce­leste, deren kühler, junger Leib etwas so Entferntes und Unerreichbares an sich hatte wie die marmornen Statuen, die jetzt seine Heimstatt zierten. Er mühte sich, ihr Bild aus seinem Kopf zu verbannen. Das war nicht leicht.
    Er hatte ihr die außergewöhnliche Ehre zuteil werden lassen, für begrenzte Zeit seine Geliebte zu sein. Er hatte sie selbst ausgewählt, statt sich auf die Dienste des ki­chernden jungen Regierungsvertreters zu verlassen, der sich hinter seinem Rücken ›Crandalls Kuppler‹ nannte. Er hatte sie bei einer der vielen Crandall-Zeremonien erblickt – in ihrem weißen Seidenkleid, das ihren Status als Jung­frau anzeigte, die noch nicht das Alter erreicht hatte, Kin­der von Crandall auszutragen. Sie hatte sein Angebot an­genommen; eigentlich war sie sich nicht ganz sicher ge­wesen, ob sie wirklich eine andere Wahl gehabt hatte.
    Celeste war nur eine der etwa dreißig Frauen, die Crandalls Privatleben mit ihm geteilt hatten. Aber von allen Frauen, die auf diesen Marmorfliesen umhergegangen wa­ren, war sie die einzige, die auch in Crandalls Kopf um­herging.
    »Was ist mit ihr?« fragte der Doktor und zündete sich seine Pfeife an.
    »Weißt du das nicht? Hast du keine Vermutung?«
    »Nein.«
    Crandall runzelte die Stirn und nippte an seinem Wein­brand, ohne etwas zu schmecken.
    »Sie verschmäht mich, Doktor. Oh, sie ist nicht irgendwie arrogant. Sie weint, wenn ich ihr nahekomme, sie weint dann einen ganzen Salzsee. Den ganzen Tag schmollt sie in ihrem Zimmer und nachts schließt sie die Tür ab.«
    Dr. Newmans Augenbrauen hoben sich. »Nun, ich glau­be gern, daß das irritierend ist. Du kannst jedoch immer ...« Er deutete durch eine Geste die Leichtigkeit an, mit der sich Crandalls Appetit befriedigen ließe.
    »Du verstehst nicht. Ich möchte dieses Mädchen haben. Sie bedeutet mir etwas – mehr, als die anderen mir je be­deutet haben. Ich habe ihr das auch gesagt. Ich habe ihr gesagt, daß sie meine letzte Gefährtin sein, daß ich sie niemals verlassen würde. Aber sie weint bloß.«
    Der Doktor räusperte sich.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Crandall. »Ein närri­scher alter Mann, betört von einem siebzehnjährigen Kind. Vielleicht haben Sie recht, Doktor. Aber sie verweigert mir alles, selbst ihre Gesellschaft.« Er rieb sich die Stirn. »Jeden Morgen versteckt sie sich in ihrem Zimmer. Wenn dann die Schwester kommt und ihr das Frühstück bringt, findet sie, daß ihr schlecht gewesen ist, sie sich übergeben hat …« Er blickte auf.
    »Vielleicht ist sie krank. Wäre das möglich?«
    »Unsinn. Sie ist einer strengen ärztlichen Untersuchung unterzogen worden.« Dr. Newman sog Rauch in seinen Mund. »Sie erbricht sich, sagst du?«
    »Ja. Morgens …«
    Der Doktor lachte in sich hinein. »Nun, das ist ein altbe­kanntes Symptom. Es könnte sein, mein lieber Wilson, daß du noch ein weiteres Crandallkind in die Welt gesetzt hast.«
    Crandall setzte das Glas ab. »Unmöglich. Ich bin dem Mädchen niemals nahegekommen.«
    »Gut, vielleicht erlaubt sie mir, mit ihr zu reden. Frauen scheinen Ärzten zu vertrauen. Sie glauben, wir seien ge­fühllose Maschinen. Wenn die wüßten!«
    Er kicherte von neuem vor sich hin und stellte das Schachspiel wieder auf.
    Am nächsten Morgen kehrte Dr. Alfred Newman in Crandalls Marmorschloß zurück und unterzog das Mädchen namens Celeste ein paar einfachen medizinischen Tests.
    Als er fertig war, strich er über die in weichen Wellen herabfallenden goldenen Haare und bedeutete dem Mäd­chen, es solle sich nicht aufregen.
    Dann suchte er nach Wilson Crandall.
    Er fand ihn auf der Terrasse vor dem östlichen Flügel seines Schlosses, die auf die sich grenzenlos bis zum Ho­rizont hin erstreckenden Gärten hinausging und auf der die
    Morgensonne
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