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Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Autoren: Kathleen McGowan
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leide um meiner Liebe willen.
    Anne hatte sich ihre Antwort sorgfältig überlegt. Sie wählte eine wunderschön illustrierte Seite aus der Verkündigung, auf welcher der Engel Gabriel der Jungfrau Maria mitteilt, dass sie einen Sohn gebären wird. Anne reimte ein Couplet in Englisch und schrieb:
     
    Täglich sollt Ihr finden mich
    Ein liebend Weib auf ewiglich.
     
    Die Symbolik war unmissverständlich; Anne hatte ihre Worte klug gewählt. Und mit der Wahl des Motivs der Verkündigung betonte sie das glorreiche Ereignis, dass Gott einer Frau einen Sohn schenkte. Denn dies war Annes Versprechen an ihren Liebsten:Sie würde ihn ewig lieben und ihm den Sohn schenken, den er sich so sehr wünschte. Ihr Liebster mochte ein verheirateter Mann und Vater sein, doch seine Frau hatte ihm nur ein Kind geboren, ein Mädchen.
    Um ihr Versprechen zu untersteichen, fügte Anne einen weiteren Satz an, den er auf Anhieb verstehen würde, wie sie wusste. Dieses Mal schrieb sie auf Französisch, in Anspielung auf die Tradition der Troubadoure und auf ein geheimes Gelübde, das nur er verstehen würde: »Le temps viendra.«
    Die Zeit kehrt wieder.
    Sie beendete ihren Brief mit der winzigen Zeichnung eines Astrolabiums, einer Darstellung der Himmelssphäre und ein Symbol der wiederkehrenden Zeit. Dann unterzeichnete sie schwungvoll mit ihrem Namen:
     
    Je * Anne Boleyn
     
    Später am Nachmittag, als der Hofprediger vor der kleinen Gemeinde in der königlichen Kapelle betete, reichte Anne das Gebetbuch heimlich ihrem Vater, Sir Thomas Boleyn, der als geheimer Bote zwischen ihr und ihrem Liebsten fungierte. Sir Thomas’ Rang bei Hofe und seine Vertrauensstellung beim König gestatteten ihm, während des Gottesdienstes an einem Ehrenplatz gleich hinter seinem Souverän zu sitzen. Boleyn war mehr als gewillt, die Liebe zwischen seiner jüngeren Tochter und dem König zu fördern.
    Heinrich VIII., König von England, erhielt die Botschaft, die für ihn bestimmt war, und drückte das Buch an sein Herz. Tränen standen in seinen Augen und trübten seinen Blick, als er nun auf die geliebte Frau blickte und flüsterte: »Die Zeit wird wiederkehren, Anne. Wir werden dafür sorgen.«

    Wie hatte alles nur so furchtbar schiefgehen können?
    Anne hatte viel Zeit, über diese Frage nachzudenken, als sie im Kerker saß und auf ihre Hinrichtung wartete. Der französische Henker war bereits aus Calais eingetroffen und bereitete sich auf sein grausames Werk vor. Er sollte Anne mit einem einzigen Schlag seiner scharfen Waffe den Kopf vom zierlichen Hals trennen. Es war Heinrichs letztes Geschenk an seine Geliebte, denn als er ihr Todesurteil unterzeichnete, hatte er die Strafe gemildert: Anne Boleyn, Königin von England, würde nicht als Verräterin und Ketzerin auf dem Scheiterhaufen brennen. Stattdessen hatte Heinrich VIII. als unerwarteten Gnadenakt einen französischen Scharfrichter bestellt, der Annes Ende so schmerzlos wie möglich herbeiführen und damit auch Heinrichs eigene Qualen beenden sollte.
    Neun Jahre waren vergangen, seit Anne und Heinrich einander gelobt hatten, dass die Zeit wiederkehren werde. Anne besaß immer noch das alte Gebetbuch. Nun ließ sie ihre Finger über die verblassende Tinte des goldenen Versprechens gleiten, an das sie beide einst geglaubt hatten. Das Versprechen, das die Welt verändern sollte. Und man täusche sich nicht: Heinrich hatte sich dieser Mission ebenso verschrieben wie Anne. Ihre Liebe war aufrichtig gewesen, eine unaufhaltsame Kraft für das Gute wie für das Böse.
    Anne hielt bei der Betrachtung des Astrolabiums inne und dachte an das Verstreichen der Zeit, von der ihr nur noch so wenig blieb. Es gab noch eine letzte Aufgabe zu erledigen, einen letzten Akt der Hingabe an die Mission. Sie musste einen Weg finden, ihre kleine rothaarige Tochter zu beschützen.
    Anne nahm ihre Feder zur Hand und schrieb einen Brief auf Französisch.
     
    Liebste Marguerite,
    wenn Ihr diese Zeilen lest, werdet Ihr bereits wissen, wie schrecklich ich Eure Erwartungen enttäuscht habe. Es bleibt mirwenig Zeit, meine Trauer und mein Bedauern auszudrücken. Und doch ist nicht alles verloren. Wir haben schon viele unserer Ziele erreicht und dürfen nicht zulassen, dass mein Tod die Flut aufhält, die über dieses wundervolle Land hinwegbrandet.
    Ich schreibe Euch, um Euch meine tiefe Liebe und Bewunderung auszudrücken und eine letzte Bitte an Euch zu richten: Gebt unsere gemeinsame Vision an meine Tochter weiter. Seid
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