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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso
Autoren: Ana Veloso
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ungewohnten Klima, dem Anbau fremder Feldfrüchte oder dem Mangel an Infrastruktur, werden aber für ihre Mühsal reich entschädigt. Die brasilianische Regierung hält fast alle ihre Zusagen ein, und die Siedler können sich – mit sehr harter Arbeit und im Laufe mehrerer Jahre – eine Existenz aufbauen, von der viele in der alten Heimat nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Einzig die versprochene Religionsfreiheit ist nicht gewährleistet. Der Katholizismus ist Staatsreligion, Protestanten werden nur geduldet. Etwa die Hälfte der Einwanderer ist evangelisch; diese jedoch dürfen keine Kirchen errichten und müssen ihre Messen in Gebäuden abhalten, die nicht als Gotteshäuser erkennbar sind.
    Um 1830 leben in und um die alte Feitoria – die nun »Colônia Alemã de São Leopoldo« heißt – 5000 Personen deutscher Herkunft. Nicht alle davon sind brave Bauern und Handwerker: Manche Gemeinden in Deutschland nutzen die Gelegenheit, um unliebsame Zeitgenossen, aus Armenhäusern oder Gefängnissen zum Beispiel, abzuschieben. Je mehr Europäer ins Land kommen, desto weniger wohlwollend werden sie empfangen. Zudem kann die brasilianische Regierung einen Teil der Vergünstigungen, die die ersten Einwanderer noch genossen, einfach nicht mehr finanzieren. Zwar wird weiterhin recht günstig Land vergeben, doch die Reisekosten und das Startkapital müssen die Neusiedler selber aufbringen. Viele der Einwanderer werden bereits auf der Reise zu einem der großen Seehäfen in Europa um ihr Erspartes erleichtert und müssen bei Ankunft in Brasilien Kredite aufnehmen. Manch einem gelingt es nicht, sich von der Schuldenlast zu befreien, er muss als eine Art Leibeigener seines Gläubigers sein Dasein fristen. Doch beharrlich halten sich in Deutschland die Gerüchte von Brasilien als einem Paradies auf Erden. Eine zweite Auswanderungswelle erreicht um 1848 ihren Höhepunkt, eine dritte setzt um 1861 ein. Weitere Regionen Brasiliens werden von deutschen Siedlern erschlossen, insbesondere im Bundesstaat Santa Catarina.
    Für viele endet die Reise ins Ungewisse unglücklich. Sie werden von Agenten betrogen, fallen auf den Schiffen diversen Krankheiten zum Opfer, müssen sich in Brasilien hoch verschulden oder fallen in einem der Kriege, die Brasilien im 19 . Jahrhundert mit Argentinien, Uruguay und Paraguay führt.
    Langfristig gesehen jedoch war die Auswanderung für die meisten Familien eine kluge Entscheidung. Der Süden Brasiliens, u.a. der Bundesstaat Rio Grande do Sul (dessen Bewohner »Gaúchos« genannt werden, auch wenn sie noch nie ein Pferd aus der Nähe gesehen haben), ist heute eine der sichersten, friedlichsten und reichsten Regionen des Landes. Zahlreiche deutsche Familiennamen zeugen von der Siedlungsgeschichte, und in einigen ländlichen Regionen sprechen die Menschen noch heute einen Dialekt, der Hunsrickisch genannt wird, der aber wegen vieler portugiesischer Entlehnungen nur entfernt an den Dialekt des Hunsrücks erinnert. Von den rund neun Millionen Bewohnern von Rio Grande do Sul sind etwa zwei Millionen deutscher Abstammung, davon wiederum die Hälfte mit Wurzeln im Hunsrück.
    Die Namen der ersten 39 Einwanderer wurden auf einem Denkmal in São Leopoldo verewigt, einer prosperierenden Stadt übrigens, die heute mehr als 200 000 Einwohner hat und sich zu Recht als »Wiege der deutschen Einwanderung« bezeichnet.
     
    So weit zur Historie.
     
    Die Geschichte, die »Das Mädchen am Rio Paraíso« erzählt, entspringt weitestgehend meiner Phantasie. Die Figuren und die Handlung sind rein fiktiv, und sogar zahlreiche geographische Punkte habe ich erfunden. So gibt es weder einen Ort namens Ahlweiler im Hunsrück noch einen Rio Paraíso in der näheren Umgebung von Porto Alegre.
    Da jedoch bis heute sowohl die Hunsrücker als auch die deutschstämmigen Brasilianer ein reges Interesse an Ahnenforschung, Heimatkunde und gegenseitigem kulturellem Austausch haben, erschien es mir sinnvoll, mich ein wenig von den historisch belegten Daten und Namen zu entfernen – schließlich wollte ich keinen einschlägig bewanderten Leser damit brüskieren, die Namen seiner Vorfahren oder die Geschichte seines Dorfes falsch bzw. verzerrt wiedergegeben zu haben. Sollten Sie also in Klärchen Liesenfeld, Hannes Wagner oder einer der anderen von mir geschaffenen Figuren einen Urahn von sich wiedererkennen, so beruht dies allein auf einem ebenso unwahrscheinlichen wie bemerkenswerten Zufall.
    Ich hoffe, Sie verzeihen mir diesen
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