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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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zupfte mich am Ärmel. »Ich warte hier auf dich. Mich machen Krankenhäuser immer ganz schwermütig.«
    Ich drückte seine Hände. »Schaffen wir das mit Matilde?«
    »Ja, mein Mädchen, das schaffen wir!« Spontan küsste ich ihn auf beide Wangen.
    »Bis gleich!«
    Mario dirigierte mich durch den überfüllten Wartebereich, vorbei an apathischen Menschen mit Gipsarmen und jodverschmierten Gliedmaßen, die hier schon seit Jahren auszuharren schienen. Er klopfte an eine Tür, an der »Kein Zutritt für Patienten! Bitte nicht klopfen!« stand, und öffnete sie. Der grimmige Blick der Krankenschwester entspannte sich, als sie ihn sah.
    »Meine Schwester«, erklärte Mario beiläufig. Die beiden würden sonst noch bis heute Abend da draußen sitzen und warten, behauptete er und platzte dabei fast vor Stolz. Unverzüglich lief er über den Gang und zeigte auf einen Vorhang. »Numero uno, der deutsche Viel Collins liegt hier, und numero due, bekommt da drin eingerichtet die Nase.« Er zeigte auf eine geschlossene Tür schräg gegenüber. »Will uns anverklagen. Was will der mich denn anverklagen? Habe ich doch nur übersetzte. Ich werde ihn anverklagen, sollte mir zahlen die Reinigung für sein Blut in meine Wagen, haha. Bin gleich wieder da!«
    Er wollte zurück in Richtung Ausgang hasten, doch ich hielt ihn zurück. Auf einmal hatte ich keinen Mut mehr, Phil gegenüberzutreten.
    »Ist er wirklich da hinter dem Vorhang?«, flüsterte ich.
    Mario schaute mich an, als sei ich völlig verrückt geworden. »Aber sicher.« Er lugte in die Kabine. »Schläft, oder ist
ohne Bewusstheit, oder vielleicht schon tot.« Der kleine Taxifahrer lachte belustigt auf. »Kommen Sie!«
    Doch ich konnte nicht. Was wäre, wenn Phil gar nicht wegen mir, sondern nur wegen irgendwelchen Fotos, einem neuen Villen-Auftrag oder einem erneuten Handanhalten um Brigida zurückgekommen war? Auf einmal war ich überzeugt, dass es so sein musste, und glaubte, vor Scham sterben zu müssen. Oder mindestens durchzudrehen.
    »Gehen Sie vor. Ich muss mich erst mal orientieren.« Verlegen ruderte ich mit den Armen in alle Richtungen. »Ich komme nach.«
    Mario schüttelte nur den Kopf.
    Zögernd linste ich nun doch an dem Stoff vorbei. Phil lang auf einer Liege. Sein Gesicht war bleich, seine Augen geschlossen. Auf der Stirn hatte er eine klaffende Wunde, die linke Wange war mit getrocknetem Blut verschmiert. Zwei Knöpfe fehlten an seinem grünen Hemd, auf dem ein großer rotbrauner Fleck prangte. Ich zog den Kopf zurück und blieb versteckt hinter dem Vorhang stehen.
    Mario verdrehte die Augen und trat mit einem fröhlichen »Ciao, ragazz’!« zu Phil an die Liege. Ein mattes »Ciao« erklang als Antwort. Er war also doch nicht bewusstlos.
    »Wo ist sie?«, stöhnte er.
    Mario gab keine Antwort, jedenfalls hörte ich nichts.
    »Du hast sie nicht gefunden.« Das kam leise und enttäuscht. »Und ich bin mit dem Auto hier.« Er nuschelte. »Bin sofort mit dem Auto zurück und mit der Fähre rüber nach Palermo. Was für ein Wahnsinn.« Vermutlich hatten sie ihm ein starkes Mittel gegen die Schmerzen gegeben, denn jetzt kicherte er. »Mario, sie ist gar nicht schwanger. War auch nie schwanger.«

    Ich sog die Luft ein. Vielleicht fantasierte er auch, aber wenn Brigida ihn wirklich angelogen hatte, war sie so gemein, wie ich mir immer verboten hatte, sie mir vorzustellen.
    »La Signorina war also nie schwanger.« Mario fragte nicht, er versuchte nur zu verstehen, was er hörte.
    »Wo sind denn alle? Die wollten doch gleich die Wunde nähen«, murmelte Phil und fing wieder an zu lachen. »Dass sie so lügen kann.« Es klang glücklich. Es klang völlig überdreht.
    »Es war ein großer Fehler, überhaupt wegzugehen. Zwei Fragen gibt es noch, Mario. Zwei Fragen.«
    Sie hatten ihm was gegeben, definitiv.
    »Aha, die Lügen, die Fehler, die Fragen«, fasste Mario zusammen.
    Mein Herz stampfte im Leerlauf vor sich hin.
    »Erste Frage: Ein Jahr lang war ich mit einer Frau zusammen, die mir nie vertraut hat, die ihr Leben vor mir geheim gehalten hat. Warum, Mario? Warum?«
    Mario streckte seine Handflächen nach oben. »Boh?!« sagte er leise.
    »Aber das war ja meine Schuld, ich habe mich ja genauso aufgeführt!«« Phil klang äußerst zufrieden mit sich und seinem Zustand. »Freiheit und Unabhängigkeit. Immer schön darauf bestehen, und den anderen bloß nicht langweilen. Das viel Wichtigere habe ich darüber vergessen. Jemandem vertrauen. Einem verrückten
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