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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Autoren: Claire Bouvier
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abführen. Das war das Einzige, was ich mitbekam. Die Stimmen ringsum, die Berührungen existierten für mich nicht wirklich. Sie waren etwas, das ich aus der Ferne beobachtete, während mein Inneres vom Schmerz zerrissen wurde. Nie wieder würde ich mit Peter unter dem Fliederbusch sitzen, nie wieder mit ihm lachen. Und ich trug die Schuld daran! Ich hatte meinen Vater derart gereizt, dass er mich angriff und Peter gezwungen war, etwas zu unternehmen.
    Mein Leben war zerstört …

36. Kapitel

    Nach drei Tagen überquerten sie wieder die Grenze von Selkirk. Da sich der Abend über die Stadt senkte, waren nicht viele Leute unterwegs; dennoch überkam Marie das Gefühl, dass alle Blicke auf ihr ruhten. Wahrscheinlich hatte ihr Verschwinden einen Skandal in der Stadt hervorgerufen. Doch hatten die Leute hier nicht genau das von ihr erwartet?
    »Wir sollten zunächst Isbel Bescheid sagen, dass wir wieder da sind«, schlug Philipp vor, denn das Schulhaus lag auf dem Weg.
    Marie schüttelte den Kopf. »Geh du zu Isbel, ich hole derweil meine Sachen aus Aunties Haus.«
    »Da komme ich lieber mit.«
    »Nein, bleib du hier und beschwichtige Mr Isbel. Erkläre ihm alles. Das geht unter Männern besser, glaube ich.«
    »Ja, wenn er nicht glaubt, ich hätte dich entführt, und mir die Nase dafür eindrückt.«
    »Mr Isbel ist Lehrer, mit dem wirst du schon fertig«, entgegnete Marie augenzwinkernd, obwohl ihr eigentlich nicht nach Scherzen zumute war. Stella, Rose und Jeremy alles zu erklären, würde schon schlimm genug sein.
    Philipp blickte sie prüfend an. »Du musst Jeremy nicht unbedingt wegen mir verlassen. Ich könnte auch fortgehen und dich nicht mehr behelligen.«
    Marie stieß ein verzweifeltes Stöhnen aus. »Hör doch auf mit solchen Reden, verdammt! Siehst du denn nicht, dass ich mit dir zusammen sein will? Ich habe mich entschieden, Philipp Carter, ich werde die Hochzeit mit Jeremy absagen und die Verlobung lösen. Doch erst einmal muss ich zurück und alles klären.«
    Carter lächelte sie breit an. »Du hast verdammt gesagt.«
    »Ja, und was ist daran so verwunderlich?«
    »Nichts, aber dieses Wort habe ich bisher noch nie aus deinem Mund gehört. Es klingt gut, finde ich.«
    Marie gab ihm einen Kuss und strich ihm übers Haar. »Bis gleich, Philipp!« Dann saß sie ab und lief die Main Street hinunter.
    Als Marie in Aunties Haus zurückkehrte, war alles still, doch darauf gab sie mittlerweile nichts mehr. Rose und Stella konnten jederzeit wie Schachtelteufel auftauchen und ihr unangenehme Fragen stellen. Mit eiskalten Händen und auf zittrigen Beinen erklomm sie die Treppe.
    Noch immer war niemand zu sehen oder zu hören. Beteten sie in der Kirche gerade für sie? Oder besprachen sie, was sie gegen die Cree tun konnten, damit die Herren von der Canadian Pacific Railway nicht Abstand von ihren Plänen nahmen? Stellte Corrigan vielleicht eine Armee auf, die die Indianer vertreiben sollte?
    Egal, dachte sie. Zumindest in diesem Augenblick ist es egal. Wenn ich erst einmal von hier fort bin, werde ich vielleicht eine Lösung finden.
    Kaum hatte sie die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet, prallte sie erschrocken zurück. Solch ein heilloses Durcheinander hätte sie nicht erwartet. Ihre Bettdecke war heruntergerissen, die Kissen lagen auf dem Boden. Vor dem offenen Schrank lag ausgebreitet Allison Isbels Kleid, von einem Fußabdruck verunziert. Der Inhalt ihrer Teppichstofftasche war über den ganzen Raum verteilt.
    Wer hatte hier gewütet?
    Als sie ihr Tagebuch auf dem Boden fand, wurde ihr klar, dass Rose oder Stella, vielleicht auch Jeremy versucht hatten, es zu lesen. Wahrscheinlich waren sie auf der Suche nach einem Anhaltspunkt gewesen, wohin sie hätte gehen können.
    Aufkommende Schuldgefühle gegenüber Stella und Jeremy wurden von der Wut darüber verdrängt, dass sie sich an ihren persönlichen Sachen vergriffen hatten. Sie mochte mit Jeremy verlobt sein, ja, aber das gab weder ihm noch seiner Tante das Recht, in ihrem Zimmer herumzuschnüffeln.
    Als es hinter ihr knarrte, wirbelte sie erschrocken herum. Jeremy stand hemdsärmelig in der Tür. Sein wirres Haar und der glasige Blick deuteten darauf hin, dass er getrunken hatte. Marie spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Er wirkte wie ihr Vater, kurz bevor er Peters Tod verschuldet hatte.
    Das Tagebuch wie einen Schutzschild an ihre Brust drückend wich Marie zurück und kämpfte gegen die Panik in ihrer Brust an.
    »Wo warst du?«, schnarrte
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