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Das Lied der schwarzen Berge

Das Lied der schwarzen Berge

Titel: Das Lied der schwarzen Berge
Autoren: Heinz G. Konsalik
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›Herr‹?«
    »Bist du kein Herr?« Sie legte das Fell hin und blickte auf. Ihre Augen waren groß. »Du kommst doch von jenseits der Berge, nicht wahr? Du kennst doch die große Welt! Die weite Welt, das Meer, die großen Weiden …« Sie legte die Hände in den Schoß und sah hinüber zu den Felsen. Sehnsucht lag in ihrem Blick und eine Traurigkeit, die ihr Gesicht wie ein Schleier überzog. »Sie muß schön sein, diese ferne Welt, nicht wahr, Herr?«
    »Sie ist schön, Rosa … und gefährlich.«
    »Gefährlich, Herr?« Sie schüttelte den Kopf.
    »Doch Rosa. Die Menschen sind nicht gut …«
    »Die Menschen –« Sie hob abwehrend die Hand. »Wo die Welt schön ist, müssen auch die Menschen schön sein …«
    Ralf lächelte. Er nahm Rosas Hand, er fühlte, wie sie leise zitterte, als er sie ergriff.
    »Du bist ein Beispiel dafür, daß diese fromme Theorie nicht stimmt. Du könntest in der Welt deiner Sehnsucht viel erreichen, aber du würdest an ihrer Gier zerbrechen. Deshalb blühst du hier im verborgenen, und der Ratschluß Gottes ist weise, daß er zwischen dir und der Welt eine Kette zweitausend Meter hoher Berge gelegt hat.«
    Rosa lächelte schwach. »Ich habe nichts verstanden«, sagte sie leise. Sie entzog ihre Hand seinem Griff und nahm das Schaffell wieder auf. »Erzählst du mir heute abend etwas von der Welt, Herr?«
    »Ja. Aber nur, wenn du mich nicht mehr ›Herr‹ nennst. Sag Ralf, Rosa …«
    »Ralf?« Sie lachte laut und bog sich zurück. Ihre Brüste spannten das Kleid. Ralf sah, daß sie außer dem Leinenkleid nichts weiter auf dem Körper trug. In seinen Schläfen spürte er plötzlich ein Klopfen. Dummheit, dachte er. Verrückte Dummheit! Ein montenegrinisches Bauernmädchen! Ich werde den Kopf noch einmal in das kalte Wasser stecken!
    »Ralf«, lachte sie schallend. »Welch ein komischer Name. Ralf. Ich kann ihn kaum aussprechen.«
    »Aber er klingt schön aus deinem Mund, Rosa. So ganz anders, als ich ihn bisher gehört habe. Er hat einen anderen Klang bekommen …«
    Das ist doch alles dummes Zeug, was ich da rede, durchfuhr es ihn. Statt hier in der Sonne zu sitzen und mir Rosa anzusehen, sollte ich mich darum kümmern, daß mein Wagen eine neue Achse bekommt und daß ich endlich ein Tal finde, dessen Stauung einen ganzen Landstrich verändert.
    Er erhob sich. »Ich muß nach meinem Wagen sehen, Rosa. Wo sind deine Eltern?«
    »Im Wald … Ralf …«
    Er zuckte bei dem Klang seines Namens aus ihrem Mund unwillkürlich zusammen. Ehe er zum Wald ging, fuhr er mit der Hand leicht über ihren nach vorn gebeugten Kopf und über die langen schwarzen Locken. Sie waren weich wie Seide und lagen in seiner Hand mit einer ihn durchrinnenden Zärtlichkeit.
    Wortlos, mit dem Gefühl, seine Kehle sei zugeschnürt, ging Ralf dem Walde zu.
    Oben, von der Bergwiese aus, sah ihm Jossip nach. Er stand mit seiner Herde am Fuße des großen Felsens über dem Dorf, gestützt auf seinen Stock. Als er die Hand Ralfs über das Haar Rosas streichen sah, lief ein Zittern über sein Gesicht.
    Und er wandte sich erst ab, als Ralf im Walde verschwunden war und die Eltern Rosas suchte.
    Am dritten Tag kam ein Materialwagen den Weg ins Dorf hinabgerasselt. Einer der Bauern, die Ralf nach Zabari geführt hatten, saß vorne auf dem Kühler und lenkte das Fahrzeug. An einem Kran, auf der Plattform des Wagens, hing das kleine Auto Meerholdts. Vor dem Hause Fedors hielten sie. Der Fahrer und ein Monteur sprangen heraus und kamen Meerholdt entgegen.
    »Ein Saunest, Herr Ingenieur!« rief der Monteur und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Fahrt über den Paßpfad – mit unserer Spurweite – Kinder, habe ich gesagt, wenn wir hier abschmieren, holt uns kein Kran mehr herauf, und wer uns unten aufsammelt, muß erst Medizin studieren, um zu entdecken, ob wir überhaupt Menschen sind!«
    Der Fahrer nickte und drückte Meerholdts Hand. »Wir haben uns gleich gedacht, daß irgend etwas schiefgegangen ist, als von Ihnen zwei Tage lang nichts zu hören war. Da sind wir einfach losgefahren und trafen vorige Nacht den Dreckspatz da.« Er zeigte auf den Bauern, der den Fahrer mit finsteren Blicken ansah. »Euer Herr ist bei uns, sagte er. Sein Wagen ist gebrochen.« Er knöpfte sich die Jacke auf. »Gebrochen, dachte ich. Wenn's bloß keine Achse ist – die haben wir nicht da. Die muß erst aus Titograd besorgt werden. Und was ist's? Die Achse!«
    Meerholdt lachte und klopfte den beiden auf die Schulter. »Fort kommen
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