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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Autoren: Linda Holeman
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hinausblicken, stellt sich mit geradem Rücken davor und sieht hinaus. Lilja kniet neben sie und faltet die Hände zum Gebet. » Er wird bald zurückkommen, Tosja « , sagt sie. » Und dann wird es sein wie immer. Du, ich und Mischa. « Sie schließt die Augen und beugt den Kopf über die Hände.
    Antonina legt die Lippen an den Kopf des kleinen Hundes und spricht selbst flüsternd ein Gebet.
    Angeführt von Konstantin und Grischa donnern die Pferde mit ihren Reitern durch den Wald. Grischa schmerzt der Nacken von dem Peitschenhieb, den Konstantin ihm verpasst hat.
    Würde sich der Graf jetzt umdrehen, wäre er überrascht von dem Hass, der sich auf dem Gesicht des Mannes abzeichnet, in dessen Hände er die Verwaltung von Angelkow gelegt hat. Grischa war nie ein Leibeigener, sondern ein freier Mann, der für seine Arbeit ein Gehalt bekommt. Konstantin findet, dass er Grischa großzügig und gerecht behandelt.
    Ebenso glaubt Konstantin, dass er auch zu seinen Leibeigenen – den » Seelen « , die er bis vor Kurzem besessen hat – immer großzügig und gerecht gewesen ist.
    Aber jetzt ist alles im Wandel begriffen. Die russische Welt ist aus den Angeln gehoben. Mit dem Manifest zur Aufhebung der Leibeigenschaft, das Zar Aleksandr II . einen Monat zuvor, im Februar 1861, unterzeichnete, hat sich sowohl das Leben der Leibeigenen als auch das der Grundbesitzer verändert.
    Nun sind die Leibeigenen den Grundbesitzern keine Abgaben mehr schuldig, weder obrok, die jährlich anfallende Steuer, die sie ihrem Herrn bezahlen mussten für den Teil der Ernte, den sie brauchten, um ihre eigenen Mägen zu füllen, noch Naturalien.
    Einige von Konstantins Leibeigenen haben das Gut bereits verlassen, um ein eigenständiges Leben im Dorf zu beginnen. Aber er kann sich nicht vorstellen, dass Grischa je gehen würde. Was wäre er denn ohne Angelkow? Kann er sich nicht glücklicher als die meisten schätzen, mit seiner hohen Stellung auf dem Gut? Schließlich hat Konstantin ihm sogar ein Nebenhaus für sich allein zur Verfügung gestellt, ein warmes Holzhäuschen mit blauen Fensterläden. So muss er nicht im Dienstbotenquartier wohnen oder, schlimmer noch, in einer der heruntergekommenen isbas, der kleinen Blockhütten im Dorf. Besucht er Grischa nicht sogar bisweilen in seinem Häuschen, mit einer Flasche edlem Wodka, um sich mit ihm über Politik zu unterhalten, und behandelt er ihn nicht beinahe wie jemanden seines Standes?
    Während sie durch den Wald reiten, denkt Grischa nicht an das Kind. Er denkt an den Silvesterabend vor gut drei Monaten, als Graf Mitlowski und er über das Versprechen – oder die Drohung, je nach Blickwinkel – des Zaren diskutierten, die Befreiung der Leibeigenen zu verkünden.
    » Die Leibeigenschaft ist schuld an der Rückständigkeit Russlands « , sagte Grischa zum Grafen, während sie Wodka tranken. » Haben wir nicht im Krimkrieg aus ebendiesem Grund eine solche Schmach erlitten? Wir bilden uns Gott weiß was auf unsere militärische Stärke ein und haben gegenüber den Armeen Frankreichs, Großbritanniens, ja sogar der Türkei kläglich versagt. Bei allem Respekt, Graf Mitlowski, aber in den meisten europäischen Ländern hat man den Feudalismus schon vor Jahrhunderten abgeschafft. «
    Der Graf rückte seinen Kragen zurecht, zog seine Weste etwas weiter herunter und strich sich über den Bart, ehe er erneut einschenkte. Er hob sein Schnapsglas und kippte es mit einem Schluck herunter. » Das heilige Russland ist eine nach dem Willen Gottes geschaffene Nation. Den Blick auf die verkommenen Staaten des Westens zu richten würde uns nur ins Verderben führen. «
    Grischa spürte ein Pochen im linken Auge, so sehr musste er sich anstrengen, seine Wut zu zügeln. Zum wiederholten Mal musste er es hinnehmen, dass der Graf ihm in seinem eigenen Heim Belehrungen erteilte. Er hörte, wie sich Tanja, die Wäscherin von Angelkow, im Schlafzimmer zu schaffen machte. In seinem Schlafzimmer. Und während sie sich anzog, musste er sich Mitlowskis großspuriges Gehabe gefallen lassen. Er umklammerte sein Glas, trank aber nicht. » Mit Verlaub, gnädiger Herr, aber ich finde, man sollte da ein wenig unterscheiden. Wir können viel von den Ländern lernen, die ihren Bürgern erlauben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wenn Menschen als Sklaven gehalten werden, wird man sie niemals zu höherer Leistung antreiben können. «
    Konstantin lachte. » Sklaven? Die Bauern sind keine Sklaven. Ich bin der Besitzer
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