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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Autoren: Linda Holeman
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zum Stehen. Das Pferd des Kosaken kaut auf dem Gebiss und nickt mit dem Kopf, als wollte er seinem Reiter bedeuten, er sei bereit auszuführen, was immer dieser von ihm verlangt. Konstantins Araber ist größer als das Pferd des Kosaken, scheut jedoch und wirft den Kopf zurück, als spürte er die drohende Gewalt.
    Konstantin hebt den Degen – warum ist er plötzlich so schwer? –, aber ohne dass er eine Bewegung seitens des Kosaken wahrgenommen hätte, hört er ein hinterhältiges Zischen, und schon schlitzt eine scharfe Klinge ihm den Handrücken seiner unbehandschuhten Hand auf. Sein Degen entgleitet ihm.
    Noch spürt er den Schmerz nicht, und es gelingt ihm, den Zügel von Michails Pferd mit der linken Hand festzuhalten. Er hört die verzweifelten Schreie seines Sohns, hört ihn Papa, Papa rufen.
    » Schon gut, Michail « , sagt Konstantin zu ihm.
    Michails Gesicht ist aschfahl, sein Mund zittert.
    » Schon gut, Mischa « , sagt Konstantin abermals. » Sei still, sei still. « Er hat das Gefühl, dass es besser ist, wenn sie Ruhe bewahren, vielleicht kann er dann das drohende Unheil noch abwenden. Gleichzeitig kommt ihm der Gedanke, dass es besser gewesen wäre, die Pelzmütze mit den Ohrenklappen mitzunehmen: Michails unbedeckter Kopf ist verletzlich. Mit einer Pelzmütze wäre das Kind wenigstens ein wenig geschützt gewesen.
    » Graf Mitlowski « , sagt der Kosak vor ihm, die Stimme von seinem Schal gedämpft.
    Die Kosaken kennen ihn. Jeder kennt ihn; er ist der Grundbesitzer. Ihm gehören Angelkow und die Hunderte und Aberhunderte Werst Land, die das Gut umgeben. Bis vor Kurzem gehörten ihm auch Tausende von Seelen, wie man die Leibeigenen auch nannte. Also handelt es sich um einen geplanten Überfall. Wie lange haben die Kosaken zwischen den Bäumen verborgen auf ihn gelauert, in dieser feuchten spätwinterlichen Kälte, mit steif gefrorenen Zehen in den Lederstiefeln und schweißgetränktem Haar unter ihren Mützen? Seit wie vielen Tagen kommen sie hierher und haben auf den richtigen Moment gewartet? Auf den Moment, da Graf Konstantin Nikolajewitsch Mitlowski schutzlos durch seinen Kiefern-, Fichten- und Birkenwald reitet. Den Moment, da er ahnungslos dem Reitpfad folgt, den seine ehemaligen Leibeigenen in den Wald gehauen haben und der kurz vor dem nächsten Dorf in die Straße mündet, eine Abkürzung von fünf Werst.
    Doch im selben Augenblick wird ihm klar, dass er in der vergangenen Woche jeden Tag diesen Weg entlanggeritten ist. Das Wetter war so schön. Erst gestern ist er hier vorbeigekommen, allein, und vorgestern und vorvorgestern auch. Mit dem einzigen Unterschied, dass er heute seinen Sohn dabeihat.
    Sein einziges Kind.
    Konstantin bemüht sich, dem Mann schräg vor ihm in die dunklen Augen zu sehen. Jetzt spürt er ein schmerzhaftes Pochen in seiner rechten Hand. Sie hängt lose auf seine Hüfte herab, und Blut tropft von den Fingerspitzen auf das graue wollene Hosenbein und das glänzend polierte Leder seiner Reitstiefel und auf den Schnee unter seinem Pferd. Er ist froh, dass sich Michail links von ihm befindet und das Blut nicht sehen kann.
    Der Kosak beugt sich im Sattel vor und späht an Konstantin vorbei zu dem Jungen. Der Ausdruck seiner Augen lässt Konstantin unwillkürlich die eigenen schließen. » Ich habe einige Rubel bei mir « , sagt er und schickt ein Stoßgebet zu den Heiligen, während er sich zwingt, dem Kosaken wieder ins Gesicht zu blicken. Seine Stimme ist rau, als wäre er eben erst aus langem Schlaf erwacht. » Hier. « Er deutet mit einem Nicken nach unten in Richtung des Gürtels über seinem Wintermantel, wo eine Ledertasche befestigt ist. » Nehmt es. Und ihr könnt noch mehr haben. Ihr wisst ja, es gibt reichlich davon. Nennt mir eine Summe, und sie gehört euch. «
    Konstantin hofft, muss einfach hoffen, dass das, was gerade geschieht, nur ein Raubüberfall ist. Dass sich diese Männer holen, was sie als ihrs betrachten, eine weitere Folge der Unruhen, die über das Land hinwegfegen. Der Zar hat im Februar die Befreiung der Leibeigenen verkündet, und den Preis dafür müssen die einstigen Besitzer bezahlen. Diese Männer sind womöglich gar keine Kosaken, keine Soldaten des Zaren, sondern Männer, die kürzlich in die Freiheit entlassen wurden und sich an ihren einstigen Herren rächen wollen, dafür dass diese so lange über ihr Leben bestimmten.
    Der Kosak durchtrennt mit der Spitze seines Säbels die Lederschlaufen, an denen Konstantins Geldbörse am Gürtel
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