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Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Titel: Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Autoren: Don Winslow
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»werden wir in Buddhas Spiegel sehen; werden unser wahres Selbst sehen. Dann werden wir alles wissen.«
    Er wollte noch darüber reden, aber sie gab sich schläfrig. Ihr Atem wurde tief und ruhig, und bald schlief sie.
    Neal hörte den Ratten zu, bevor er schließlich bereit war, zu schlafen. Es würde bald genug dämmern.
     
     
19
     
    Xao Xiyang trat aus dem kleinen Pavillon auf dem Gipfel und wartete auf den Sonnenuntergang. Die Luft war so klar, so lieblich, so friedlich, daß er beinahe die Zigarette zwischen seinen Fingern nicht angezündet hätte. Der lange Aufstieg und die reine Bergluft hatten seine Lungen gereinigt, und das Panorama inspirierte ihn fast dazu, ein gesünderes Leben zu beginnen. Xao zündete die Zigarette an.
    So… Bald würde er sein wahres Ich sehen. Ein gefährliches Unterfangen, wenn man bedachte, was er vorhatte. Er war absolut nicht sicher, daß er seine eigene Seele sehen wollte. Er beugte sich über das niedrige Geländer und warf einen Blick auf den Nebel. Er sah keinen Spiegel; er sah ein Tal voller Wolken, das war alles. Aber die Yi hatten ihm versichert, daß Buddhas Spiegel jeden Morgen und jeden Abend erschien. Aberglaube, dachte er.
    Er fühlte die stille Gegenwart seines Fahrers neben sich. Wenn ich müde bin, dachte er, wie erschöpft muß erst dieser gute Soldat sein, der um den halben Berg herum und dann den gefährlichen Aufstieg über die Westseite hinaufgegangen ist. Ein treuer Soldat, ein guter Mann, der keine Angst haben sollte, sein wahres Selbst zu sehen.
    »Ist der Amerikaner bei Ihnen?« fragte er.
    »Ja, Genosse Sekretär.«
    »Gut. Geht es ihm gut?«
    »Er atmet etwas schwer.«
    »Wir haben nicht alle Ihre hervorragende Konstitution.«
    Er bot dem Fahrer eine Zigarette an, die der Mann annahm.
    »Ich gehe also davon aus«, sagte Xao, »daß der junge Mr. Carey den Köder geschluckt hat.«
    »Haben Sie die Fische in den Teichen von Dwaizhou gesehen?«
    »Ja.«
    »Genauso.«
    »Ah.«
    Xao dachte über seine gegensätzlichen Empfindungen nach. Befriedigung, daß der Plan funktionierte, Trauer, daß der Plan zu seinem unseligen Ende kam. Die Dualität der Natur – daß etwas wirklich Gutes immer mit etwas wirklich Bösem gepaart war, ein wundervolles Geschenk mit einem tragischen Opfer. Vielleicht wird Buddhas Spiegel mir zwei Gesichter zeigen.
    »Wann glauben Sie, werden sie kommen?« fragte Xao.
    »Bei Sonnenuntergang.«
    Also wird es traurig und schön sein, dachte Xao. Angemessen.
    »Halten Sie ihn bereit«, befahl Xao.
    Er konnte die Unsicherheit des Fahrers spüren.
    »Ja?« fragte Xao. »Sprechen Sie. Wir sind alle sozialistische Genossen.«
    »Sind Sie sicher, Genosse Sekretär, daß Sie… die Operation vollenden wollen? Es gibt Alternativen.«
    »Sie mögen ihn inzwischen.«
    Keine Antwort.
    Xao sagte: »Es gibt Alternativen, aber sie sind riskant. Risiken gilt es zu vermeiden, wenn soviel auf dem Spiel steht. Unsere Gefühle sind unwichtig.«
    »Ja, Genosse Sekretär.«
    »Sie müssen hungrig sein.«
    »Es geht mir gut.«
    »Gehen Sie essen.«
    »Ja, Genosse Sekretär.«
    Der Fahrer ging davon. Xao sah die Sonne über Szechuan aufgehen. Er wußte, was der Fahrer gemeint hatte – es gab keinen Grund, daß Xao selbst hier war.
    Wahr, dachte er, zumindest, was die Operation angeht. Aber es gibt einen persönlichen Grund. Einen moralischen. Wenn man den Tod eines Unschuldigen anordnet, muß man den Mut haben zuzusehen.
    Xao sah wieder hinunter in den Nebel, auf der Suche nach seiner Seele. 
     
    Simms ging es schlecht. Er hatte die Nacht in einem schmutzigen, buddhistischen Disneyland voller Ratten verbracht, und jetzt stand er im kalten Morgennebel, versuchte, eine Schale Reissuppe runterzuwürgen und wartete, daß die Sonne aufging, damit er noch ein paar tausend Schritte steigen und klettern konnte.
    Er sehnte sich nach dem Komfort des Peak: ein dekadentes Mahl, eine gute Flasche Bourbon, eine junge Frau in Seide. Die Vorstellung, den Rest seines Lebens in der Volksrepublik China zu verbringen, krampfte seinen Magen schlimmer zusammen als die Reissuppe. Es war so verdammt monoton hier, so spartanisch.
    Die Vorstellung weckte ihn endgültig, er drängte die Sonne, endlich aufzugehen. Wenn er nicht tat, was zu tun war – Neal Carey ausschalten –, konnte er seine verbleibenden Tage in diesem kommunistischen Paradies verbringen. Wenn Carey es zurück in die Staaten schaffte und erzählte, was der böse Mr. Simms ihm angetan hatte, würden die Typen
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