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Das Licht der Phantasie

Das Licht der Phantasie

Titel: Das Licht der Phantasie
Autoren: Terry Pratchett
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den Schamanen an. Nun, sie hatte natürlich kein Gesicht, aber trotz des mykologischen Dunstes, der vor ihm wallte, zweifelte der junge Mann nicht daran, daß die Kiste ihren Blick auf ihn richtete. Und einen ziemlich finsteren noch dazu. Es ist erstaunlich, wie unheilvoll ein Schlüsselloch und mehrere Spangen aussehen können.
    Tiefe Erleichterung durchströmte ihn, als der Koffer auf für Truhen typische Art und Weise mit den hölzernen Achseln zuckte, sich umwandte und in langsamem Galopp davonstürmte.
    Mit einer übermenschlichen Anstrengung gelang es dem Schamanen, aufzustehen und einige Schritte zu gehen. Nach wenigen Metern blieb er wieder stehen, starrte zu Boden und gab die Verfolgung auf, da er plötzlich glaubte, keine Beine mehr zu haben.
    Unterdessen hatte Rincewind einen Pfad gefunden. Er verlief nicht gerade, beschrieb immer wieder Kurven, die den Zauberer störten, und außerdem fehlte ihm ein anständiges Kopfsteinpflaster. Aber immerhin gab er ihm die Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben.
    Einige Bäume versuchten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber inzwischen war Rincewind so gut wie sicher, daß es sich dabei keineswegs um eine charakteristische Verhaltensweise von Bäumen handelte, und deshalb beachtete er sie nicht.
    Stunden verstrichen. Um ihn herum herrschte Stille, abgesehen vom Summen lästiger Insekten, die ihn dauernd zu stechen versuchten, dem gelegentlichen Knacken eines herabfallenden Zweigs und dem Flüstern der Bäume, die sich über Religion und den Ärger mit Eichhörnchen unterhielten. Rincewind begann sich sehr einsam zu fühlen. Er stellte sich vor, wie er für immer und ewig durch den Wald irrte, auf Blättern schlief und sich von, von… von den Dingen ernährte, die ihm ein solcher Ort anbot. Bäume, dachte er und schnitt eine Grimasse. Nüsse und Beeren. Vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig, als…
    »Rincewind!«
Er hob den Kopf und sah Zweiblum, der über den Weg wanderte – platschnaß und ganz offensichtlich quietschvergnügt. Hinter ihm lief der Koffer wie ein treuer Hund. (Alle Gegenstände, die aus diesem Holz hergestellt sind, folgen ihren Eigentümern überallhin: Es wurde oft benutzt, um Koffer für die Grabbeilagen sehr reicher Könige anzufertigen, die ihr Leben im Jenseits nicht ohne frische Unterwäsche beginnen wollten.)
    Rincewind seufzte. Bisher hatte er angenommen, der Tag könne nicht noch schlimmer werden.
     
     
    E in besonders nasser und kalter Regen fiel. Rincewind und Zweiblum saßen unter einem Baum und beobachteten ihn.
    »Rincewind?«
    »Hm?«
    »Warum sind wir hier?«
    »Nun, manche Leute meinen, der Schöpfer des Universums habe die Scheibenwelt und alles darauf geschaffen. Andere sind der Ansicht, es sei eine sehr komplizierte Geschichte, bei der es angeblich um die Hoden des Himmelsgottes und die Milch der Himmlischen Kuh geht. Einige behaupten, wir verdanken unsere Existenz nur der völlig zufälligen Zunahme von Wahrscheinlichkeitspartikeln. Aber wenn du fragst, warum wir uns hier befinden, obgleich wir vom Rand der Scheibe gefallen sind… Nun, ich habe nicht die geringste Ahnung. Vermutlich ist alles nur ein dummes Versehen.«
    »Oh. Glaubst du, in diesem Wald gibt es irgend etwas zu essen?«
    »Ja«, erwiderte der Zauberer bitter. »Uns.«
    »Ich habe einige Eicheln, wenn ihr möchtet«, sagte der Baum freundlich.
    Einige Sekunden lang herrschte regenfeuchte Stille.
»Rincewind, der Baum sagte gerade…«
    »Bäume können nicht sprechen«, unterbrach ihn Rincewind nervös.
    »Es ist sehr wichtig, das nicht zu vergessen.«
    »Aber du hast doch gehört, wie er…«
    Rincewind seufzte. »Hör mal«, brummte er. »Im Grunde genommen handelt es sich doch um ein biologisches Problem, nicht wahr? Wenn man reden will, braucht man die dafür notwendige organische Ausrüstung, zum Beispiel Lungen, Lippen und…«
    »Stimmbänder«, warf der Baum ein.
»Ja, genau«, bestätigte Rincewind. Er gab keinen Ton mehr von sich und starrte mißmutig in den Regen.
    »Ich dachte, Zauberer wüßten alles über Bäume, das Leben in der Wildnis und dergleichen«, sagte Zweiblum vorwurfsvoll. Normalerweise kam in seinem Tonfall immer zum Ausdruck, daß er Rincewind für einen außerordentlich fähigen und kompetenten Magier hielt, doch diesmal vibrierte Zweifel in der Stimme des Touristen. Rincewind sah sofort seine Ehre bedroht.
    »Das stimmt auch«, versicherte er.
»Dann sag mir, was das dort für ein Baum ist.« Zweiblum streckte die Hand
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