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Das letzte Relikt

Das letzte Relikt

Titel: Das letzte Relikt
Autoren: Robert Masello
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übergroße Armyjacke zuknöpfte und selbst verschwand. Sie erinnerte Carter ein wenig an sich selbst in diesem Alter. Auch er hatte stets versucht, noch ein paar letzte lose Enden zusammenzuknoten oder ein weiteres Stück des Puzzles zu ergattern. Normalerweise trödelte er nach dem Seminar noch eine Weile herum, um eventuelle offene Fragen zu beantworten, heute hatte er allerdings noch einen Termin. Er hatte sich extra einen gelben Zettel auf sein Vorlesungsskript geklebt, damit er es nicht vergaß.
    Er zog seine Lederjacke an, stopfte die Unterlagen in seine abgewetzte Aktentasche und verschwand direkt hinter Katie durch die Seitentür.
    »Sie glauben also, dass
T. Rex
ebenfalls Federn hatte?«, fragte sie mit einem Blick über die Schulter.
    »Das ist durchaus vorstellbar.«
    »Dann wird man wohl
Jurassic Park
neu drehen müssen.«
    »Das werden sie bestimmt auch machen«, sagte er, »und wenn sie schon einmal dabei sind, können sie es auch gleich in
Kreidepark
umbenennen.«
    »Wieso?«
    »Weil es den
T. Rex
vorher gar nicht gab. Wir sehen uns nächsten Donnerstag.«
     
    Draußen war es knackig kalt und herbstlich, einer von diesen Tagen, an denen New York tatsächlich zu funkeln schien. Die Schaufenster leuchteten, Herbstblätter bedeckten die Gehwege, und selbst die Wagen der Brezelverkäufer sahen verlockend aus. Einen Moment lang erwog Carter, an einem haltzumachen, da er zum Lunch nur einen Burrito aus der Mikrowelle gegessen hatte. Doch dann erinnerte er sich an den Artikel in der
New York Post
über das Ungeziefer in den Lagerhäusern, in denen die Wagen über Nacht untergestellt wurden, und er ging weiter. In Momenten wie diesem tat es ihm häufig leid, dass er diesen Artikel jemals gelesen hatte.
    Die Verabredung, bei der er in genau vierzig Minuten erscheinen musste, war in Midtown, und jetzt war er erst am Washington Square. Aber wenn er zügig ging, würde er es vermutlich rechtzeitig schaffen. Ein Taxi würde ein Vermögen kosten, und die Vorstellung, an solch einem schönen Nachmittag in die U-Bahn zu steigen, war wenig verlockend. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch und machte sich auf den Weg die Fifth Avenue hinauf, die ausgebeulte Aktentasche unter dem Arm. Zu einer Verabredung, auf die er, wenn er ehrlich war, nicht besonders erpicht war.
    Es war ein weiterer Termin beim Arzt, dieses Mal bei einem Fruchtbarkeitsspezialisten, den Beth durch ihre Freundin Abbie aufgetan hatte. Beth war erst zweiunddreißig und Carter ein Jahr älter, aber seit über einem Jahr versuchten sie nun schon, ein Baby in die Welt zu setzen. Bislang ohne Erfolg. Einerseits wollte Carter wissen, wo das Problem lag, andererseits wollte er genau das nicht. Er fürchtete jedoch, es heute Nachmittag auf die eine oder andere Weise herauszufinden.
    Seit sechs Jahren waren sie verheiratet, und die meiste Zeit über hatten sie das Thema Kinder vertagt. Nein, falsch. Sie hatten es nicht verschoben, sondern es war einfach nie zur Sprache gekommen. Einmal, weil sie beide so scharf aufeinander waren, dass die Vorstellung, aus einem anderen Grund Liebe zu machen und eine Familie zu gründen, ihnen geradezu absurd erschien. Sex war einfach Sex, und warum sollten sie es sich schwerer machen als nötig? Das war eigentlich keine schlechte Herangehensweise, wie er fand. Sie hatten ziemlich glücklich in einer Art Seifenblase gelebt, in der es nichts gab, außer ihnen beiden. Und es hatte sich nicht so angefühlt, als würde irgendetwas fehlen.
    Der andere Grund war ihre Arbeit gewesen. Carter hatte stets gesagt, dass er nicht einmal über die Gründung einer Familie
nachdenken
wolle, solange er nicht wusste, dass seine Karriere in trockenen Tüchern war. Bis er zum Beispiel irgendwo eine feste Anstellung hatte. Sein Albtraum war es, so zu enden wie viele andere Promovierte, die er kannte, und sich als herumziehender Wissenschaftler von einer befristeten Stelle zur nächsten zu hangeln. Ein Jahr in New Haven, zwei in Ann Arbor, mit einer Frau und mehreren Kindern im Schlepptau, für die er zu sorgen hätte. Keinen Ort zum Schreiben, keine Zeit zum Nachdenken, keine Freiheit, dorthin zu gehen, wo er hingehen musste, um die Arbeit tun zu können, die er tun musste, um sich einen Ruf zu erwerben. Aber das war kein Problem mehr. Seit achtzehn Monaten war er fest bei der New York University angestellt und Inhaber des erst kürzlich gestifteten Kingsley-Lehrstuhls für Paläontologie und Integrative Biologie. Und damit galt diese
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