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Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Titel: Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
Autoren: Fritz Roth
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Alltagserfahrung gaben. Die Sicherheit, mit der wir wissen, was zu tun ist, wenn ein Kind geboren wird – Glückwünsche, Hilfsangebote – fehlt, wenn ein Mensch gestorben ist. Rituale wie das Tragen schwarzer Trauerkleidung, das Verschicken oder Überreichen von Beileidskarten, die Beileidsbezeugung am Grab und das Kaffeetrinken nach der Bestattung werden oft als inhaltsleere Konventionen empfunden. Sie wirken verunsichernd auf viele Trauernde, weil sie sich mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen in ein Korsett gezwängt fühlen, das ihnen nicht passt.
    Der Tod und die Toten sind aus unserer Mitte verschwunden wie die Dorffriedhöfe aus den Vororten der Großstädte, die Gemüsegärten und Wochenmärkte. Längst sind Leichenwagen nicht mehr als solche zu erkennen, längst sind die Friedhöfe an die Ränder der Städte gewandert und zu Orten geworden, mit denen die meisten von uns nicht mehr viel anfangen können. Die klassische Grabstelle als letzte Ruhestätte ist zum Auslaufmodell geworden: »Wer soll das pflegen?«, »Wer hat Zeit, dorthin zu gehen?«, fragen sich viele. Und verschweigen, dass ihnen auch das »Wozu?« abhanden gekommen ist.
    Kosten-Nutzen-Abwägungen und Zeitknappheit machen auch vor dem Tod nicht Halt. Eine wachsende Zahl von Menschen verfügen testamentarisch, dass ihre Asche nicht in einer identifizierbaren Grabstelle beigesetzt werden soll, sondern ohne Namensnennung oder sonstige Identitätskennzeichen auf einem zumeist als Wiese oder sonstige Naturlandschaft gestalteten Urnenfeld.
    Auf welche Weise wir unsere Angehörigen bestatten lassen, ist auch eine ökonomische Frage. Immer häufiger gilt: möglichst rasch und möglichst günstig. Das Sterbegeld zählt seit 2004 nicht mehr zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Seit Jahren wächst der Anteil der Feuerbestattungen, gegenüber der klassischen Beerdigung eine kostengünstigere und pflegeleichtere Alternative. Rund 13 Milliarden Euro pro Jahr werden in Deutschland für Bestattungen ausgegeben; Heute teilen sich 4 500 Betriebe den Markt, noch 1980 waren es knapp halb so viele. Für eine Standardbeerdigung liegt der Preis bei rund 4 000 Euro. Inzwischen werben Betriebe mit »Niedrigpreisen«, die unter 1 000 Euro liegen, und es gibt All-inclusive-Angebote, die von der Traueranzeige bis zur Gestaltung der Trauerfeier die komplette Palette der Dienstleistungen umfassen. Aber wo enden die Kosten einer Bestattung? Sind sie mit der Beerdigung beglichen oder setzen sie sich fort, wenn ein Betroffener noch Jahre lang medizinisch behandelt werden muss, weil er mit dem Tod seines Kindes nicht fertig wird?
    Die Kosten der persönlichen und gemeinschaftlichen Verdrängung des Todes, des Sterbens, werden spätestens dann sichtbar, wenn der Tod uns nicht mehr als abstraktes Thema begegnet, sondern persönlich trifft. Wenn mit dem Tod eines nahestehenden Menschen oder der ärztlichen Diagnose einer unheilbaren Krankheit der Tod einbricht ins eigene Leben. Plötzlich wird klar, dass die Distanz, die wir zum Tod und Sterben kulturell geschaffen haben, umso verwundbarer macht. So wenig wir wissen, welches unser letzter Tag sein wird, so wenig können wir wissen, ob der Tod uns nicht schon morgen, übermorgen, nächste Woche einen uns nahestehenden Menschen nimmt. Wir können den Gedanken an Sterben und Tod aus dem Alltag verdrängen; entgehen werden wir Tod, Abschied und Trauer dadurch nicht.

Hilflose Trauer
    Wie Sterben als Krankheit definiert wird, so gilt Trauer in unserer Gesellschaft als eine leidvolle Phase, die es möglichst rasch zu »überwinden« gilt. Trauer ist eine universelle Erfahrung, die jeder individuell und auf seine Weise erlebt. Was Trauer für uns ist, wie wir sie empfinden und ausdrücken, hat etwas mit der Zeit zu tun, in der wir leben: welche Traditionen und Freiheiten sie bietet, welche wissenschaftlichen Theorien für gültig gehalten werden. Es gibt keine verbindlichen Regeln mehr wie einst das Trauerjahr. Heute gilt »Trauerarbeit« als Bewältigung einer Krise, vergleichbar einem Krankheitsverlauf. Und wie dieser ist die Trauer ein durch und durch individueller Prozess – auch in seiner Kehrseite: Viele Betroffene machen die Erfahrung, dass sie mit ihrer Trauer allein sind, dass Kollegen, Nachbarn, selbst Freunde sich zurückziehen.
    »Was soll ich denn sagen? Lieber sage ich gar nichts, bevor ich etwas falsch mache.« Es ist kein Zufall, dass uns bei der Nachricht vom Tod eines Kollegen, eines Verwandten, eines
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