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Das lässt sich ändern

Das lässt sich ändern

Titel: Das lässt sich ändern
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Tag zu Tag ärger in die Klemme.
    Mit mir sprach er nicht darüber, weil das ein Männerthema war. Krieg ist nichts für Mütter, die immer nur Frieden wollen. Für Männersachen war Adam zuständig. Die beiden saßen während ihrer Beratung im Kinderzimmer, ich hatte Magali zu mir rübergenommen, und nach einer Weile hörte ich, wie Adam die Platte mit den Kinderliedern auflegte,die er schon mit seiner kleinen Schwester gesungen hatte. Ich kann pfeifen, ich kann pfeifen, hörte ich. Woll’n mich mal die frechen, die größren Jungs verdreschen, dann pfeif ich drauf, und schließlich kam der gellende Pfiff.
    Fürs Erste hoffte Anatol wohl, sich womöglich pfeifend dem Kampfgeschehen entziehen zu können, und arbeitete an dem Pfiff, bis er ihn so ohrenbetäubend hinbekam wie die Kinder auf der alten Langspielplatte.
     
     
    Frau Özyilmaz hingegen konnte sich nicht entziehen.
    Den Brief von Boras Klassenlehrer, der sie kurz vor den Sommerferien in die Schule zitierte, brachte sie zu einer unserer Stunden mit. Nicht, weil sie ihn nicht hätte lesen können, sie hatte von Anfang an alles verstanden und recht gut ein wild gewachsenes Gebrauchsdeutsch gesprochen. Inzwischen wusste ich, dass sie in den Siebzigerjahren, kurz bevor der Familiennachzug gestoppt wurde, mit dreizehn zu ihren Eltern nach Deutschland gekommen war und sich die Sprache irgendwie hatte aufschnappen müssen. Für den Alltag hatte das die längste Zeit gereicht; aber auch Frau Özyilmaz schaltete manchmal den Fernseher an und sah eine Welt, in der es Gastarbeiter nicht einmal mehr dem Namen nach gab; sie und ihre Familie waren in ausländische Mitbürger umbenannt worden und in dem neuen Land und der neuen Zeit so wenig Bürger, wie sie vorher Gastgewesen waren, und alles andere als willkommen, das Boot war voll und würde demnächst untergehen, einem Beschuss durch die Islamrakete, so stand in der Zeitung, würde es nicht standhalten können; die Özyilmaz sahen, wie etlichen ihrer Landsleute die Dächer überm Kopf abgefackelt wurden, bloß unsere Welt nicht durchmischen und überfremden; das Abfackeln hatte Frau Özyilmaz eine Heidenangst gemacht, es waren Menschen verbrannt, und sie war froh, schon so lange hier zu sein, dass sie nicht abgeschoben werden konnten, aber wenn sie über die Zukunft nachdachte, in die sie ihren Sohn schicken würde, hatte sie das Gefühl, es könnte nicht schaden, sich zu wappnen und ihre Sprachkenntnisse zu erweitern.
     
     
    Bora war in Ilmenstett im Kindergarten gewesen und konnte Türkisch und Deutsch, aber weder in der einen noch in der anderen Sprache hatte er seiner Mutter ein Sterbenswörtchen von der Lage verraten, in die er durch den Ilmenstetter Boten geraten war, sie hatte keine Ahnung vom Ziegenfresser, keinen Schimmer davon, dass ihr Sohn heldenhaft die Ehre seines Landes und seiner Leute gegen die Überzahl der Alemannen auf dem Schulhof verteidigte.
    Sie fiel ziemlich aus allen Wolken, als ich ihr erzählte, was wir von Anatol wussten.
    Die Leute sind komisch, sagte sie dann, lassenkeinen rein und hassen alle, die draußen sind. So viel Hass.
    Es ist kein Platz für uns, hatte Rio Reiser von den Ton Steine Scherben gesungen; zwei Jahre vor der Wende hatte er das geschrieben, kein Platz für uns auf der Erde, kein Platz unterm Himmelszelt.
    Für eine Menge Leute wird demnächst kein Platz auf der Erde mehr sein, sagte Adam manchmal, wenn Fritzi fluchte, weil die Krankenkassen wieder eine Behandlung nicht erstatten wollten.
    Die Plätze gibt’s nicht mehr gratis.
    Daran dachte ich, als Frau Özyilmaz das jetzt sagte, und Draußensein hieße für Bora wahrscheinlich, dass er nicht so einfach aufs Gymnasium käme, und dann wäre es aus mit dem Traum vom Bauingenör.
     
     
    Das Gespräch mit Boras Klassenlehrer muss von Anfang an ziemlich schiefgelaufen sein.
    Herr Leienbecker meinte, dass Bora ein Problem sei.
    Seine Mutter bestand darauf, dass er ein Problem habe .
    Herr Leienbecker wusste nichts Genaues darüber, warum es auf dem Schulhof zu Prügeleien kam. Er wusste nur, dass neuerdings Bora regelmäßig in diese Prügeleien verwickelt war. Er hatte im Ilmenstetter Boten den Artikel über Holzapfel gelesen. Darüber, dass der Fall längst erledigt war, hatte derBote natürlich nichts geschrieben. Es hätte Bora auch nicht sehr viel geholfen.
    Nein danke, ich bin Vegetarier, sagte Herr Leienbecker, als Frau Özyilmaz den Zeitungsausschnitt aus der Handtasche zog und ihm zeigen wollte.
    Immer schön
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