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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Autoren: Gisbert Haefs
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Fremder unterscheidet sich von einem anderen nur durch sein Geld. Je mehr er zahlt, desto weniger ist er fremd.«
    »Das meine ich nicht.«
    »Mach die Tür auf; langsam. Was meinst du denn?«
    »Was du hier tust, ist doch vollkommen sinnlos.«
    »Das ganze Leben ist sinnlos. Der Krieg war sinnlos, die Spanier sind sinnlos gestorben, wie alle anderen, du bist sinnlos hinter deinem Kassem hergeritten; warum sollte ich nicht auch etwas Sinnloses tun?«
    »Er hat meine Frau«, sagte ich; »wir haben eine Verabredung; meine Frau wird nur leben, wenn ich die Verabredung einhalte. Wozu also das Messer?«
    Er gluckste leise. »Damit du die Verabredung ganz sicher einhältst.«
    »Was sollte ich sonst tun?«
    »Fliehen. Dich im Haus verschanzen. Beschließen, daß ihr Leben doch nicht so kostbar ist. Ein Messer irgendwo an dir verbergen.«
    Wir traten hinaus. Auf den Weg, der zu den Stufen führte. Auf die Stufen, die zu Karim Abbas führten.
    »Hier?« sagte ich, als ich fast vor ihm stand.
    Karim nickte. »Ein guter Ort. Für dich und mich. Für den Todesengel sind alle Orte gleich.« Er klatschte dreimal in die Hände.
    Nach rechts fiel der Weg ein wenig ab, zu den Häusern von Orebic und zum Hafen. Vor uns, jenseits des Abhangs mit seinen Büschen und der Meerenge, sah ich Korcula; ein Strahl der Novembersonne fiel auf das Segel des venezianischen Kriegsschiffs, das langsam nach Westen glitt. Ein paar Fischer aus Orebic waren auf dem Wasser; ein anderes Boot lag am Ufer. Links von uns standen Bäume neben einem Felsen, den ein Riese dort vergessen haben mochte. Hinter dem Felsen traten ein paar Männer hervor – zuerst drei, dann weitere sieben. Laura ging in der Mitte der Gruppe, flankiert von zweien. Die Männer waren bewaffnet, trugen aber keine Uniformen.
    »Du kannst sie begrüßen – kurz«, sagte Karim Abbas. Er klang ein wenig herablassend. Wie einer, der einem Hund einen fast kahlen Knochen hinwirft und sagt: »Da, nimm.«
    Ich ging Laura und den Männern entgegen. Mein Herz klopfte, und während ich versuchte, mich an Lauras Anblick sattzusehen, schwirrten mir all die Vorkehrungen, Vorgänge und Fragen der vergangenen Tage durch den Kopf. Bekim, den ich mit Geld und einem Brief nach Korcula geschickt hatte. Der flache weiße Stein, den ich vorgestern früh auf der obersten Stufe gefunden hatte. Die Dinge, die ich nicht zu Papier bringen mochte, damit Goran sie nicht lesen konnte. Die Zweifel an Karims Ehrenhaftigkeit und die Fragen hinsichtlich meiner eigenen.
    Und ich dachte an einen Traum. Genauer: die Fortsetzung eines Traums. Vor Monden hatte ich von einer Grube geträumt, in der Flammen züngelten, die zugleich Schlangen waren. Über der Grube stand oder schwebte eine Eule; dann rüttelte sie wie ein Raubvogel, öffnete den Mund, sagte etwas, das für mich bestimmt war, aber ich konnte es nicht verstehen. Sie stürzte sich in die Flammen, löste sich aber auf, ehe sie den Knäuel der Schlangenflammen erreichte. Und in der vergangenen Nacht war mir die Flammenschlangengrube wieder im Traum erschienen. Am Rand hatte Karim Abbas gestanden, der aber zugleich ein anderer war, den ich nicht erkannte. Und die Eule hatte Meister Nikolas Züge und brannte schon, während sie mir etwas zurief. In der Grube hatte Laura gestanden, und in der Scheußlichkeit des Traums war es ein Trost gewesen zu sehen, daß sie nicht brannte, daß ihr die Schlangen nichts anhaben konnten.
    »Liebste«, sagte ich, als ich vor ihr stand. »Haben sie dich gut behandelt?«
    Sie nickte nur, sagte nichts. Sie schien die Zähne zusammenzubeißen, und ihre Augen waren trocken.
    »Dann ...«, sagte ich. In diesem Moment packten mich zwei der Männer, rissen mich herum und zerrten meine Arme auseinander. Karim Abbas hielt einen Degen in der Hand und machte zwei schnelle Bewegungen. Eine Art Flammenspur fraß sich von meiner linken Achsel abwärts bis fast in Höhe des Nabels, und ehe ich Lauras erstickten Schrei hörte, sah ich die blutige Spitze des Degens nicht weit vor meinem Gesicht, wie im Triumph erhoben.
    »Ich war lange unterwegs und bin müde. Du hast geruht. Wir wollen die Nachteile ausgleichen.« Karims Stimme war lauterer Hohn. Ich hörte sie wie durch ein Rauschen; wie durch etwas, das Nebel gewesen wäre, wenn man es sehen könnte.
    Er hatte mir das Hemd seitlich aufgeschlitzt; aus dem langen, oberflächlichen Schnitt sickerte Blut, das den zerfetzten Stoff schnell sättigte.
    Plötzlich ließen die Männer meine Arme los.
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