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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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Ersteigen derselben zählte…. Es waren nur sechzig, statt der fünfundsiebzig die er heruntergegangen war, ehe er an die Schwelle der Höhle gelangte. Demnach mußten etwa gegen acht Fuß fehlen, ehe er die Oberfläche des Erdbodens erreichte..
    Da ihm jedoch nichts anderes am Herzen lag, als dem dunklen Corridor zu folgen, an dessen Seitenwänden er mit beiden Händen hinstrich, ging er ohne Rücksicht darauf weiter.
    Eine halbe Stunde verstrich, ohne daß ihn eine Thüre oder ein Gitter aufgehalten hätte. Bei dem vielfach gebrochenen Wege war es ihm jedoch unmöglich, abzuschätzen, welcher Richtung dieser in Bezug auf die Zwischenmauer folgte, die nach dem Plateau des Orgall hinauslag.
    Nach kurzem Aufenthalte, während dessen er ein wenig Athem schöpfte, setzte Franz seinen Weg fort, der fast endlos schien, bis ihn plötzlich ein Hinderniß aufhielt.
    Es war das eine Backsteinmauer.
    Er tastete an dieser in verschiedener Höhe umher, fand aber nirgends eine Oeffnung darin.
    Nach dieser Seite schien sich also kein Ausweg zu öffnen.
    Franz konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken. Alle Hoffnung, die er genährt, zerschellte an diesem Hinderniß. Seine Kniee zitterten, seine Füße versagten ihm den Dienst und er fiel vor der Mauer kraftlos nieder…
    Unten im Grunde aber zeigte die Querwand eine kleine Spalte; die Ziegelsteine hingen hier nur so lose zusammen, daß er sie mit den Händen entfernen konnte.
    »Hier muß ich hindurch!… rief er… hier durch!«
    Schon begann er einen Stein nach dem andern abzulösen, als von der andern Seite ein Geräusch vernehmbar wurde.
    Franz hielt ein.
    Das Geräusch dauerte fort und gleichzeitig stahl sich ein Lichtschein durch das Loch in der Mauer.
    Franz blickte hindurch.
    Da lag die alte Kapelle des Schlosses vor ihm. Der Zahn der Zeit und eine lange Vernachlässigung hatten sie schon recht weit verfallen gemacht: ein Bogengewölbe war zusammengebrochen, nur dessen Rippen stützten sich noch auf ihre unebenen Wandsäulen, und zwei oder drei andere Bogen schienen offenbar dem Einsturz nahe; ein zerbrochenes Fenster zeigte nur noch das zierliche Steinkreuz in gothischem Style, da und dort lag eine überstaubte Marmorplatte, unter der ein Ahn der Familie von Gortz schlummerte; im Hintergrunde der Chorhaube erhob sich der Ueberrest eines Altars mit beschädigten Sculpturen an der Rückwand, ferner ein Ueberbleibsel der Bedachung über der Chorwölbung, das von Sturm und Wetter noch verschont war, und endlich am Giebel des Portals der halbzerfallene Glockenthurm, von dem ein Seil nach der Erde hinabhing – der Strang jener Glocke – – die zum unaussprechlichen Entsetzen der Bewohner von Werst, wenn solche in der Nachbarschaft unterwegs waren, zuweilen zu läuten anfing.
    In dieser seit langer Zeit verlassenen Kapelle, die jeder Unbill des Karpathenklimas ausgesetzt war, hatte sich ein Mann mit einer Stocklaterne eingefunden, deren Schein sein Gesicht voll beleuchtete.
    Franz erkannte den Mann sofort wieder.
    Das war Orfanik, jener Querkopf, den der Baron während seines Aufenthaltes in den großen Städten Italiens als einzigen Gesellschafter um sich hatte, jenes Originals, das man, mit den Händen fuchtelnd, im Selbstgespräche durch die Straßen gehen sah, jener mißverstandene Gelehrte, jener Erfinder, der immer Trugbildern nachjagte und der seine Erfindungen jedenfalls dem Baron von Gortz zur Verfügung stellte.
    Hätte Franz bisher noch den leisesten Zweifel an der Anwesenheit des Barons im Karpathenschlosse hegen können – selbst noch nach dem Erscheinen la Stilla’s – so verwandelte sich dieser Zweifel nun in Gewißheit, da Orfanik vor seinen Augen stand.
    Was hatte dieser in der verfallenen Kapelle und in so später Abendstunde zu schaffen?
    Franz suchte sich darüber aufzuklären und dabei sah er folgendes:
    Zur Erde niedergebeugt, hatte Orfanik mehrere Eisencylinder, einen nach dem andern, aufgehoben, die er mit einem Faden oder Drahte verband, welcher von einer Spindel im Winkel der Kapelle abrollte.
    Diese Arbeit nahm seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß er den jungen Grafen, selbst wenn dieser sich ihm nähern konnte, nicht bemerkt hätte.
    Ach, warum war die Spalte, die Franz zu erweitern bemüht war, noch nicht hinreichend groß, um ihm den Durchtritt zu gestatten! Er hätte sich in die Kapelle begeben, sich auf Orfanik gestürzt und diesen gezwungen, ihn nach dem Wartthurme zu führen.
    Vielleicht war es aber ein Glück, daß er das
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