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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert
Autoren: Richard Morgan
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glaubt, das sind die einzigen leeren Halsfesseln, die ihr zu sehen kriegt? Jeder Tag, an dem wir es nicht bis zum Markt in Yhelteth schaffen, ist bares Geld, das diesen Ärschen durch die Finger rinnt. Ihr glaubt, die werden stehenbleiben oder langsamer werden, wenn jemand die Hitze nicht aushält, sobald wir über die Ebene ziehen?«
    »Sie müssen uns verkaufen!«, beharrte Tigeth gereizt. »Es liegt nicht in ihrem Interesse, wenn sie …«
    »Sie müssen einige von uns verkaufen, mein lieber Herr Geschäftsmann. Genügend, damit es sich rechnet. Wie schon gesagt: Ihr glaubt doch nicht, dass es dem Kapitän des Fischkutters was ausmacht, wenn ihm beim Entladen ein paar Fische aufs Dock rutschen?«
    »Wie alt bist du, mein Sohn?«, fragte jemand neugierig.
    Gerin grinste in der Dämmerung wie ein Gassenjunge. »Fünfzehn.
Und im Gegensatz zu dem, was der Herr Geschäftsmann da sagt, kann ich bis zehn zählen, und weiter. Ich zähle fünfunddreißig Sklavenzüge in dieser Karawane, mit jeweils zweiunddreißig Köpfen. Das sind elfhundertundzwanzig, weniger Barat, und ihr habt gesehen, was mit ihm passiert ist. Meint ihr wirklich, einer von uns ist das zusätzliche Wasser oder das Warten wert, während sie uns hier herumschleifen? Hier heißt es marschieren oder krepieren, Leute, und jeder ist sich selbst der Nächste. Ihr seid keine Bürger mehr, ihr seid Sklaven. Ihr fallt da draußen um, und sie geben euch vielleicht ein paar Tritte, um zu sehen, ob ihr wieder hochkommt. Und wenn nicht …« Er breitete die Hände in den Fesseln aus und zuckte mit den Achseln. »Schneiden sie euch los und lassen euch liegen, sodass ihr an Ort und Stelle krepiert.«
    »Vielleicht stimmt das«, sagte der Hagere langsam. »Aber vielleicht glauben wir lieber, dass es jemand anders passiert. Verdammt, vielleicht passiert es jemand anders. Wir alle haben’s bis hierher geschafft.«
    Ein zustimmendes Gemurmel durchlief die kauernden Gestalten an der Kette. Nachdem es erstorben war, schaute der Hagere jedoch blicklos nach Süden. Er schien von seinen eigenen Worten nicht so recht überzeugt zu sein.
    »Bin nie in ’ner Wüste gewesen«, sagte er zu niemand im Besonderen. »Hab so was noch nie gesehen.«
    Jemand nieste heftig.
    »Ich habe solche Märsche schon erlebt«, sagte ein anderer Mann, der weiter weg saß. Die eine Gesichtshälfte war albtraumhaft vernarbt. Schlecht verheilte Brandwunden, so heftig, dass man sogar im schwindenden Licht das gefurchte Narbengewebe erkennen konnte, wenn er den Kopf bewegte. »Im Krieg, auf dem Rückzug von Rajal. Der Junge hat recht. So läuft
das. Sie haben die Verwundeten liegen lassen, wo sie hingefallen sind. Haben uns dazu gebracht, dass wir an ihnen vorbeimarschiert sind. Wir haben gehört, wie sie uns nachgerufen, uns angefleht haben. Uns angebettelt haben, sie nicht den Echsen zu überlassen. Und damals waren wir nicht mal Sklaven, wir waren nach wie vor Bürger, wir waren Soldaten.«
    Tigeth stiüeß einen Laut der Erschöpfung aus. »Ist nicht dasselbe. Das war ein Krieg. Es ist nicht dasselbe hier …«
    »Was ist los, Dicker?« Der hagere Gefangene starrte Tigeth mit offener Abneigung an. »Du rechnest damit, dass dich irgendeine reiche yheltethische Witwe als Schreiber und Hausdiener kauft, nur weil du lesen und schreiben kannst? Hältst dich für zu gut, um in den Minen zu arbeiten oder Steine zu schleppen, bis du umfällst?«
    »Nö, dafür ist er einfach viel zu fett«, jubelte einer.
    »Zu fett für ’ne Witwe und so«, sagte ein anderer. »Es sei denn, sie kauft ihn als Kissen.«
    Allgemeines Gelächter, leise und gemein. Tigeth war hellauf empört.
    »Er wird nicht mehr zu dick sein, wenn wir dort ankommen« , sagte der Veteran von Rajal ruhig. »Bei einem Marsch, wie er uns bevorsteht, wird er ebenso verbrannt, mit Blasen bedeckt und gebrochen sein wie wir alle. Wenn er’s überhaupt schafft.«
    Nach seinen Worten entstand eine Stille. Die Gefangenen sahen einander an, während sie die Botschaft verarbeiteten. Die meisten waren zweifellos gelegentlich brutal behandelt worden, seit sie gefangen genommen und verkauft worden waren. Vielleicht waren einige der jüngeren und hübscheren unter ihnen  – wie Gerin – ebenso unausweichlich im Kerker vergewaltigt worden wie die Frauen, die jetzt in separaten Trecks
marschierten. Aber im Großen und Ganzen hatten sich diese Männer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass sie vielleicht sterben würden.
    Ein schwacher, fiebriger
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