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Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)

Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)

Titel: Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
Autoren: Terry Pratchett , Jack Cohen , Ian Stewart
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benutzt. – Anm. d. Übers. ]; vielmehr bestreiten sie die Interpretation dieser Ergebnisse als Beweise für die Evolution.
    Menschen verstehen sich gut auf Interpretationen. Damit können sie sich aus unangenehmen Situationen herauswinden. 2012 zitierte während einer Diskussion über Sexismus in der Religion und die vertrackte Frage nach weiblichen Priestern in der Anglikanischen Kirche einer der Teilnehmer den ersten Brief an Timotheus, Kapitel 2, Verse 12 bis 14: »Einem Weibe aber gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei. Denn Adam ist am ersten gemacht, danach Eva. Und Adam ward nicht verführt; das Weib aber ward verführt und hat die Übertretung eingeführt.« Man kann das schwerlich anders deuten als die Feststellung, dass Frauen weniger wert sind als Männer, dass sie dienstbar sein und den Mund halten sollten und dass zudem die Erbsünde allein Schuld der Frauen, nicht der Männer ist, weil Eva der Versuchung der Schlange erlag. Ungeachtet dieser anscheinend eindeutigen Lesart beharrte ein anderer Diskussionsteilnehmer felsenfest darauf, die Verse bedeuteten nichts dergleichen. Es war nur eine Frage der Interpretation.
    Die Interpretationen sind wichtig, weil »die Fakten« selten erklären, wie sich das Universum in Bezug auf uns verhält. »Die Fakten« sagen uns, dass die Wärme der Sonne aus Kernreaktionen stammt, hauptsächlich aus der Fusion von Wasserstoff zu Helium. Aber wir verlangen mehr. Wir wollen wissen, warum . Ist die Sonne entstanden, damit wir mit Wärme versorgt werden? Oder ist es andersherum: Sind wir auf diesem Planeten, weil die Sonnenwärme eine Umgebung schuf, in der Wesen wie wir uns entwickeln konnten? Die Fakten sind in jedem Fall dieselben, doch ihre Bedeutung hängt davon ab, wie wir sie interpretieren.
    Unsere standardmäßige Interpretation besteht darin, die Welt in menschlichen Begriffen zu betrachten. Wenn eine Katze einen Blickpunkt hat, dann betrachtet sie die Welt sicherlich in Katzenbegriffen. Aber die natürliche Vorgehensweise der Menschheit hatte schon immer nachhaltige Auswirkungen darauf, wie wir über unsere Welt denken und welche Art von Erklärungen wir überzeugend finden. Sie hat auch nachhaltige Auswirkungen darauf, über welche Welt wir nachdenken . Unsere Gehirne nehmen die Welt in menschlichem Maßstab wahr und interpretieren diese Wahrnehmungen in Begriffen, wie sie für uns wichtig sind – oder einmal waren.
    Dass wir auf den menschlichen Maßstab fokussiert sind, mag ganz vernünftig erscheinen. Wie sonst sollten wir unsere Welt betrachten? Aber rhetorische Fragen verdienen rhetorische Antworten, und anders als für das übrige Tierreich gibt es für uns Alternativen. Das menschliche Gehirn kann seine eigenen Denkmuster bewusst abwandeln. Wir können uns beibringen, in anderen Größenordnungen zu denken, sowohl kleiner als auch größer. Wir können uns die Fähigkeit antrainieren, psychologische Fallen zu vermeiden, also beispielsweise nicht zu denken, was wir gern denken wollen, weil wir es wollen. Wir können sogar auf noch fremdartigere Arten denken: Mathematiker betrachten routinemäßig Räume mit mehr als drei Dimensionen, Formen, die so kompliziert sind, dass sie kein sinnvolles Volumen haben, Flächen mit nur einer Seite und unterschiedliche Größen der Unendlichkeit.
    Menschen können unmenschliche Gedanken denken.
    Diese Art des Denkens wird analytisch genannt. Es ergibt sich vielleicht nicht natürlich, und seine Ergebnisse sind nicht immer besonders tröstlich, aber es ist möglich . Es ist seit geraumer Zeit der Hauptweg für die Welt von heute, in der analytisches Denken immer wichtiger für unser Überleben geworden ist. Wenn man seine Zeit damit zubringt, sich bequem einzureden, die Welt sei so, wie man sie haben will, dann erlebt man ein paar hässliche Überraschungen, und es kann zu spät sein, etwas dagegen zu unternehmen. Leider errichtet die Notwendigkeit, analytisch zu denken, eine hohe Barriere zwischen der Wissenschaft einerseits und vielen menschlichen Wünschen und Glaubensvorstellungen andererseits, die in jeder Generation wieder zum Vorschein kommen. Schlachten, von denen die Wissenschaftler kühn glaubten, sie hätten sie im 19. Jahrhundert gewonnen, müssen immer wieder von Neuem geschlagen werden; Rationalität und Beweismaterial allein können sich möglicherweise nicht durchsetzen.
    Es gibt einen Grund für unsere natürlichen Denkmuster. Sie haben sich
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