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Das Ist Mein Blut

Titel: Das Ist Mein Blut
Autoren: Sigrun Arenz
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Gelegenheitsraucher gewesen war. Etliche Strafzettel wegen Parkens im Halteverbot oder ohne Parkschein lagen achtlos herum. Im Kofferraum fanden sich ein Paar grobe Stiefel, auf denen der Schlamm getrocknet war, neben einem zerfledderten Outdoormagazin, einer einzelnen vornehmen Herrenseidensocke, einem Flachmann – »Leer«, murmelte einer aus dem Spurensicherungsteam im Tonfall leiser Enttäuschung –, einem ganzen Haufen mehr oder weniger aktueller Straßenkarten und Faltblätter über diverse Sehenswürdigkeiten, einer neuen Ausgabe von Anna Karenina, einem schmuddeligen Skatspiel und einer Schachtel Aspirin mit lange abgelaufenem Verfallsdatum. »Okay, geben Sie uns Bescheid, falls Sie noch irgendetwas Interessantes entdecken«, bat Eva die Kollegen müde. »Wir machen uns besser auf den Weg, hier stehen wir ja doch nur herum.«
    »Schade«, meinte Rainer, als sie auf die B2 kamen. »Ich hatte gehofft, das Auto würde uns etwas über Kronauer selbst sagen, wenn schon nichts über den Mord.«
    »Er war genauso alt wie ich«, erwiderte Eva. Sie hatte das nicht sagen wollen, aber der Gedanke hatte sich ihr aufgedrängt, und dann hatte sie die Zigarettenschachtel gesehen, im Handschuhfach, halb leer, aber ohne Feuerzeug in greifbarer Nähe, wie in ihrem eigenen Auto. Nicht, dass es eine Rolle spielte, aber es war doch ein seltsames und etwas beklemmendes Gefühl. Er war so alt gewesen wie sie, genauso lebendig wie sie selbst, hatte gelegentlich geraucht und Kinder in die Welt gesetzt und seine Arbeit getan und sein Auto abgestellt, ohne die Parkscheibe einzustellen. Und jetzt war er tot.

4
    »Hat ein paar Tage Urlaub.« Hilde Podanski, Redakteurin für den Bereich »Metropolregion« der Tageszeitung, für die Kronauer gearbeitet hatte, war eine gehetzt dreinblickende Mittfünfzigerin, deren dauerhaft zusammengezogene Brauen Reaktion auf irgendeine schwer zu fassende, aber unendliche Krise zu sein schienen. »Nee, ich weiß nicht, was er vorhatte … Seine Arbeit? Was von dem, das hier in der Metropolregion so vor sich geht … Nee, zu mir hat er nichts gesagt.«
    Eva überließ die Dame, die mit Kronauer für dieselbe Rubrik gearbeitet hatte, ihrem Kollegen, um mit dem Chefredakteur zu sprechen, der bei ihrer Ankunft noch am Telefon gewesen war. In der Redaktion ging es geschäftig, aber recht ruhig zu. Vorherrschende Geräusche waren das Klingeln von Telefonen, das Summen von Computern und das unverkennbare Rattern und Keuchen überlasteter Drucker. »Der Autor der Wochenkolumne sagt schöne Grüße«, hörte Eva im Vorbeigehen am Büro des Feuilletons einen Journalisten sagen. »Du sollst ihm bitte nicht wieder die Pointe rauskürzen, wenn du seinen Text bearbeitest.«
    »Sull er’s doch es nächste Mal rot aastreichn«, grummelte der andere zurück.
    Bald würden sie andere Sorgen haben, überlegte Eva missmutig.
    Vom Chefredakteur Karl Geißbach erfuhr sie noch einmal, dass Kronauer ein paar Tage Urlaub genommen, jedoch keine genaueren Pläne erwähnt hatte. Über den Tod seines Mitarbeiters zeigte er sich schockiert. Natürlich würde er versuchen, durch das, was er wusste, bei den Ermittlungen mitzuhelfen. Eine größere Reise habe Kronauer während seines Urlaubs nicht vorgehabt, das hätte er den Kollegen sicher erzählt. Er sei wohl sehr mitteilsam gewesen? Ja, das auf jeden Fall, wenn auch auf seine ganz eigene Art. »Und wie war die? Seine Art, meine ich?«
    Ein Schweigen, das sich für Evas Geschmack etwas zu lange ausdehnte. »Das ist nicht so leicht zu sagen«, meinte der andere schließlich. »Dietmar war – er war ein guter Journalist und ein guter Mitarbeiter. Er konnte etwas lästig sein, weil er … er hielt nicht viel von Regeln, verstehen Sie?«
    »Meinen Sie im Zusammenleben? Im menschlichen Miteinander? Wir haben gehört, dass er für zwei Kinder in zwei verschiedenen Städten Alimente zahlte. Meinen Sie so was?«
    Geißbach lächelte ein wenig. »Das vielleicht auch. Er war ein bisschen … wild. Er ließ sich nicht gerne einzäunen. Deadlines, Zeilenbegrenzungen, das Budget, Absprachen der Kollegen, die Straßenverkehrsordnung – das alles ärgerte ihn, und das machte es manchmal etwas schwierig, mit ihm zu arbeiten. Da hat er gerne quergeschossen. Dabei war er ein großartiger Journalist, in der Recherche und im Interview …«
    »Mochten Sie Kronauer?«, fragte Eva unvermittelt. Sie hatte nicht vorgehabt, diese Frage zu stellen, aber ihr Gegenüber schien ihr auszuweichen, obwohl er
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