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Das Implantat: Roman (German Edition)

Das Implantat: Roman (German Edition)

Titel: Das Implantat: Roman (German Edition)
Autoren: Daniel H. Wilson
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und auch an der Allderdice Highschool schloss man sich dieser Auffassung an, doch Samanthas Eltern wollten nicht klein beigeben und zogen mit ihrer Tochter bis vor den Obersten Gerichtshof. Hier sollte sie als Musterfall für eine Entwicklung dienen, die viele für unausweichlich hielten.
    Die Anwälte entschieden sich für Sam, weil sie außer dem Neuronalen Autofokus keinerlei Prothesen oder sonstige technische Lebenshilfen verwendete. Das Gerät in ihrer Schläfe war weder mit einem Netzhautimplantat noch mit einem künstlichen Arm oder Ähnlichem verbunden. Sie war bloß ein ganz normales hübsches kleines Mädchen – von dem einen künstlichen Makel in ihrem Kopf abgesehen, der sich so unübersehbar in den Ergebnissen ihrer Intelligenztests niederschlug.
    Schließlich fällt ein Schatten über mein Gesicht. Ich sehe einen knielangen Rock, der klatschend im Wind flattert. Samantha steht mit in die Hüfte gestemmten Händen und resigniertem Gesichtsausdruck vor mir.
    Mir geht auf, dass sie nur noch nicht gesprungen ist, weil sie sich Sorgen um meine Sicherheit macht. Erleichtert gebe ich irgendetwas zwischen einem Stöhnen und einem Wimmern von mir. Auch sie hört es und schüttelt daraufhin verächtlich den Kopf.
    »Mein Gott, sind Sie ein Feigling«, sagt sie. Wie die Galionsfigur eines Schiffes steht sie über mir und blickt finster auf mich herab. Zu tough, um aus Holz sein, eher aus Metall. Na ja, an gewissen Stellen wenigstens.
    »Ich springe«, erklärt sie nüchtern. »Glauben Sie mir, wenn Sie an meiner Stelle wären, dann hätten Sie das schon vor Jahren getan.«
    »Nein, Samantha, tu das …«
    »Ach, halten Sie den Mund«, stößt sie ungeduldig hervor. »Sie wissen doch einen Dreck. Ich bin schlauer als Sie, vergessen Sie das nicht. Sie konnten mir damals nichts beibringen, warum wollen Sie mir also jetzt noch auf die Nerven gehen? Halten Sie einfach den Mund. Ich springe, und dagegen können Sie nichts tun. Der Aufprall wird dafür sorgen, dass ich sofort tot bin. Der Fall wird ungefähr zwei Sekunden dauern.«
    Sofort muss ich wieder daran denken, wie sie damals mit ihrer lilafarbenen Kinderbrille aussah. Wie ein Trugbild legt sich die Erinnerung über das Gesicht der Teenagerin vor mir. Der Unterschied zwischen der alten und der neuen Samantha ist einfach zu groß für mich gewesen. In der Woche, in der sie fort war, muss irgendetwas kaputtgegangen sein. Ein Stück von ihr hat die Verwandlung wohl nicht mitmachen können.
    »Der Rasen ist vom Regen ein bisschen aufgeweicht, aber sterben werde ich trotzdem«, fährt Samantha fort. »Aus dieser Höhe ist das eine sichere Sache. Auf dem Weg nach unten wird sich meine Fallgeschwindigkeit auf etwa vierzig Meilen pro Stunde beschleunigen. Ich bin trotzdem froh, dass ich auf Rasen aufkomme. Dann besteht eine echte Chance, dass mir nicht die Eingeweide aus sämtlichen Körperöffnungen spritzen.«
    Als Antwort kann ich nur benommen blinzeln. Ihre Worte sind wie eine steinharte Wand, an der mein pädagogischer Idealismus zerplatzt wie eine Seifenblase. Bisher hatte ich das Glück, hauptsächlich brave und gelehrige Kinder unterrichten zu dürfen, trotzdem weiß ich natürlich, dass sie nach Verlassen meines Klassenraums nicht unbedingt so brav bleiben. Dass sie dann so reden wie Samantha jetzt, ist mir jedoch nicht in den Sinn gekommen. Davon ist in meinen Stunden nie etwas zu erkennen gewesen. Da wagte sich diese Art zu reden zwischen Büchern und Tischen nicht hervor, wurde von irgendetwas zurückgehalten. Von der Angst vor dem Nachsitzen wahrscheinlich.
    Große Angst vor dem Nachsitzen scheint Samantha allerdings nicht mehr zu haben.
    »Und glauben Sie bloß nicht, die Buchse an Ihrer Schläfe mache Sie zu irgendetwas anderem als einem ganz normalen Spasti, Mr. Gray. Entschuldigen Sie, ich meine natürlich, zu jemandem mit autosomal-dominanter Frontalhirnepilepsie. Ja, wir wissen es alle.«
    Sie tippt mit dem Finger auf den kleinen Plastik-Leberfleck, den sie an der rechten Schläfe hat, und ein vom nassen Dach zurückgeworfener Sonnenstrahl bringt kurz ihre braunen Augen zum Leuchten.
    »Das hingegen, was ich hier habe, Mr. Gray, das ist echt der Knaller. Soll ich Ihnen was sagen? Nachdem man mir das Ding eingesetzt hatte, habe ich mich richtig darauf gefreut, wieder in die Klasse zurückzukommen. Damals hatte ich vieles noch nicht begriffen.«
    »Du darfst nicht auf die anderen Kinder hören«, entgegne ich. »Sie sind nur neidisch.«
    »Die
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