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Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Titel: Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
Autoren: James McGee
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getragen, und sie hatten ihn schon wahrgenommen, ehe sie ins Großboot gestiegen waren. Zuerst hatten die Männer kaum darauf geachtet, weil sie dachten, der Geruch ginge von ihren eigenen ungewaschenen Körpern aus, aber langsam begann es ihnen zu dämmern. Seit das Boot von der Kaimauer abgestoßen hatte, waren sie wie gelähmt bei dem Gedanken an das Schicksal, das ihnen bevorstand. Wie um das wachsende Grauen ihrer Passagiere noch zu verstärken, tauschten die Wachen vielsagende Blicke aus und zogen sich ihre Halstücher über Mund und Nase.
    Das Boot näherte sich dem Heck des Schiffes. Hoch oben, unter den Heckfenstern, sah man ein Namensschild, das einst in Goldprägung gestrahlt haben mochte, jetzt aber unwiederbringlich blind geworden war und das Schiff als die Rapacious auswies.
    Aus der Nähe wirkte das Schiff noch furchteinflößender. Der dunkle Rumpf sah eher wie ein riesiger, rauchgeschwärzter Sarkophag aus, nichts erinnerte an das ehemals stolze Schiff der Navy. Es hatte keinen Besanmast mehr, und Großmast sowie Fockmast waren auf ein Drittel ihrer früheren Länge gekürzt worden, so dass nur noch die unteren Rahe vorhanden waren. Zwischen ihnen war von vorn nach achtern ein Gewirr aus Wäscheleinen gespannt, an denen etwas flatterte, das man auf die Entfernung für Signalflaggen hätte halten können, was sich aber bei näherem Hinsehen als eine Ansammlung zerfetzter Strümpfe, Hemden und Hosen entpuppte. Durch ihr Alter sowie vom ständigen Tragen und Waschen hatten sämtliche Kleidungsstücke ein einheitliches Grau angenommen, wobei die meisten von ihnen ohnehin überwiegend aus mehr Löchern als Stoff bestanden.
    Dies waren nicht die einzigen Veränderungen, die man an dem einst so stolzen Schiff vorgenommen hatte. Das Bugspriet war entfernt worden, und wo einst das Hüttendeck war, stand jetzt lediglich ein kleiner rußgeschwärzter Ziegelbau mit schrägem Dach und einem Schornstein, aus dem Rauch aufstieg. Ein ähnliches Gebäude zierte die Back. Ihr Aussehen ließ darauf schließen, dass schon viele Jahre vergangen waren, seit die Rapacious zum letzten Mal den Kanonendonner einer Seeschlacht gehört hatte. Das bestätigte auch das Fehlen jeglicher Geschütze; an den Geschützöffnungen waren die Kanonenmündungen durch feste Eisengitter ersetzt worden.
    Durch das Kürzen der Masten und die fehlenden Kanonen war das Schiff wesentlich leichter geworden, wodurch es viel höher im Wasser lag, als es für ein Schiff dieser Größe üblich war. Auf Höhe des Orlopdecks, das normalerweise unterhalb des Wasserspiegels gelegen hätte, zog sich ein Laufsteg aus Metallgittern außen am Schiffsrumpf entlang, von dem mehrere Holztreppen zu einer kleinen Plattform führten, die, ähnlich einer Kanzel, sich neben der Lücke in der Reling befand, durch die man an Bord gelangte.
    Das Schiff war mit dicken Ketten an Bug und Heck im Flussbett verankert. Hinter ihr, in Linie achteraus und jeweils eine Kabellänge voneinander entfernt, lagen noch vier weitere Schiffe in ähnlich desolatem Zustand mitten im Fluss, ihre stumpfen Bugs flussabwärts gerichtet.
    Rings umher lag eine verwirrende Vielfalt weiterer Schiffe vor Anker: Briggs und Kutter, auch Fregatten und Glattdeck-Schlupps, Schiffe mit gelbem oder schwarz glänzendem Bug, mit Masten, die hoch und stolz aufragten und von denen statt armseliger Wäsche bunte Wimpel flatterten. Englands ganzer Stolz, und bereit, in den Krieg zu ziehen.
    Verglichen mit diesen Schiffen und getrennt vom Rest der Flotte sahen die Rapacious und ihre Schwesterschiffe aus, als habe man sie abgeschrieben und dem Verfall preisgegeben; wie die Opfer einer furchtbaren, tödlichen Krankheit.
    Mittschiffs im Großboot saß ein Mann, der die Klagen seiner Gefährten ignorierte, er betrachtete das Schiff eher mit Interesse als mit Furcht. Auf der linken Seite seines Gesichts zeichneten sich zwei Narben ab. Die erste lief am Bogen des Jochbeins entlang, etwa einen Zoll unter dem linken Auge. Die zweite Narbe, weniger frisch, zog sich einen Zoll unterhalb der ersten dahin. Sein langes Haar war dunkel bis auf einige graue Strähnen an der Schläfe. Seine Jacke und die Hose waren abgetragen und von unbestimmter Farbe, jedoch in besserem Zustand als die Kleider einiger der Männer, die sich um ihn drängten, und die man eher als Fetzen hätte bezeichnen müssen. Und während die meisten seiner Gefährten entweder barfuß waren oder nur sehr dürftiges Schuhwerk trugen, steckten seine Füße
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