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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz
Autoren: Hanni Muenzer
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das Glas gesenkt. Scheinbar suchte er
nun in den blutroten Tiefen nach den geeigneten Worten, um das unbequeme
Gespräch zu eröffnen. Piero gönnte sich inzwischen einen tüchtigen Schluck.
Danach zog er aus seinem Ärmel ein Taschentuch und betupfte sich vornehm die
Lippen.
    Verächtlich
musterte Emilia ihn und seine geckenhafte Erscheinung. Ihre Augen folgten seinen
gezierten Bewegungen und blieben auf dem Taschentuch haften. Pieros Initialen
und das Wappen der di Stefanos prangten mit goldenen Fäden darauf. Jäh verengten
sich ihre Augen. Sie wirkte nun wie eine Katze kurz vor den Sprung. Tatsächlich
sprang sie auf: „Jetzt schwant mir, was hier gespielt wird. Du bist es, der
hinter dieser albernen Farce von Hochzeit steckt, Piero. Du hast den Kuhhandel
ausgeheckt und daher rührt auch dein seltsamer Besuch im Herbst mit deinen
angeblichen Geschäftspartnern. Ihr habt die Ware begutachtet! Pfui Teufel! Hast
du nicht schon genug Schaden angerichtet, Bruder? Unsere besten Schafherden
sind verkauft und die kommenden beiden Ernten hat man uns längst gepfändet. Du
hast Vater in den Ruin getrieben. Musst du jetzt auch noch mein Leben
ruinieren?“
    Ihr Vater
war bei ihren Worten erschrocken aufgefahren. „Aber…? Woher weißt du das denn
alles, Kind?“, reagierte er fassungslos.
    „Eben, weil
ich kein Kind mehr bin, Vater. Ich habe Augen und Ohren. Außerdem kann ich
lesen. Deine Bücher lügen nicht.“
    „Du warst an meinen Kontobüchern?“, brauste er auf und erhob
sich drohend von der Bank. Aug in Aug standen sich Vater und Tochter nun
gegenüber und funkelten sich an.
    „Ja!“ Emilia
wich keinen Zoll vor seinem Zorn zurück. „Warum auch nicht?“, sagte sie stolz.
„Schließlich betrifft uns die Misere alle miteinander. Ich hätte auch einige Ideen,
wie wir unseren Ertrag steigern könnten. Zum Beispiel könnten wir …“
    „Schweig
still, Schwester“, fiel ihr Piero abfällig ins Wort. „Was verstehst du schon
von Erträgen?“
    „Vermutlich
mehr als du, du erfolgreicher Handelsmann! Wo sind denn deine Errungenschaften?
Wo sind deine Schiffe, dein Vermögen? Hattest du bei deinem Auszug nicht
vollmundig geprahlt, du würdest Venedig die alte Pracht zurückbringen? Doge
wolltest du werden! Ha, dass ich nicht lache! Keinen einzigen verdammten Scudo
hast du verdient. Stattdessen hast du in kürzester Zeit unser gesamtes
Familienerbe verschleudert! Du bist nichts weiter als ein Blender“, schmetterte
sie ihm entgegen.
    „Dumme Göre,
was ficht dich das Erbe an? Als ältestem Sohn wird mir sowieso alles gehören!“,
brauste Piero auf. Immerhin hatte sie ihn aus seiner überheblichen Ruhe geholt.
    „Ha, welches Erbe, du dämlicher
Kohlkopf? Man kann nicht erben, was gar nicht mehr vorhanden ist!“, schrie
Emilia zurück.
    „Himmelherrgott
noch mal!“ Conte Abelardos Faust sauste wuchtig auf den Tisch. „Fangt ihr schon
wieder an!“ Doch sein Zorn nährte sich nur aus einem kurzen Aufflackern früherer
Vitalität. Kaum entflammt, erlosch er schon wieder. Trüben Auges fixierte der
Conte seine Kinder. Mit einem Mal wirkte er müde und verbraucht. Er seufzte und
fuhr sich mit beiden Händen durch seine graue Mähne. Endlich suchte er den
Blick seiner Tochter. Er hob seine große Hand und ließ sie langsam auf ihre
sinken, die klein und zerbrechlich wie ein Schmetterlingsflügel unter seiner verschwand.
Betroffen starrte Emilia auf die Hand ihres Vaters. Nie zuvor waren ihr die
blauen Adern und die dunklen Male auf seinem Handrücken aufgefallen. Mit leisem
Schrecken erkannte sie, dass das Alter unbarmherzig von ihrem Vater Besitz
ergriffen hatte. Plötzlich konnte sie die Last der Sorgen fühlen, die ihn
beugten, und ihr mitleidendes Herz flog ihm zu: „Ach Papa, lieber Papa“, rief
sie und lehnte ihre Stirn an die seine. „Ich will ja alles für Euch tun, aber
bitte schickt mich nicht fort von hier. Bitte, lasst mich bei Euch bleiben ...“,
flehte sie. Lange Zeit verharren die beiden so. Selbst der schöne Piero
verhielt sich ungewöhnlich still, als würde auch ihn die Innigkeit von Vater
und Tochter bewegen. Nur das leise Schnarchen der Hunde, die sich erneut vor
dem Kamin niedergelassen hatten, unterbrach die Stille.
    Endlich
löste sich der Conte von Emilia. Er tätschelte väterlich ihre Hand und nahm
gleichzeitig einen tiefen Atemzug, als wollte er zusätzliche Kraft schöpfen. „Emilia,
mein liebes Kind“, hob er an. „Ich weiß, es war nicht Recht von mir, es dir
solange zu
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