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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz
Autoren: Hanni Muenzer
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vor zwei Tagen gestorben ist.“
Anna bekreuzigte sich und ging.

Pater Bertolli frohlockte. Die Dinge entwickelten sich ganz
in seinem Sinne. Er war nach Santo Stefano di Sessanio gesandt worden, um die
blasphemischen Äußerungen einer Seherin namens Serafina La Tedesca zu untersuchen.
Der Dorfpfarrer hatte den römischen Großinquisitor Giovanni Ganganelli davon
unterrichtet. Zunächst hatte er nicht verstanden, warum Ganganelli so sehr an
einer raschen Aufklärung gelegen war. Bevor er hinaufgestiegen war - Santo
Stefano erwies sich tatsächlich als der höchste Ort Italiens und lag inmitten
der unwegsamen Abruzzen -, hatte sich Bertolli deshalb vorsichtig im Tal
umgehört. Dabei hatte er etwas höchst Interessantes in Erfahrung gebracht: Giovanni
Ganganelli, der aus dieser Gegend stammte, und diese Seherin waren sich schon
einmal begegnet! Damals hatte sie dem jungen Priester prophezeit, dass er
einmal Papst werden würde. Ha, da war Ganganelli auf die älteste List dieser
selbsternannten Seherinnen hereingefallen. Sie hatte ihm einfach das gesagt,
was er gerne hören wollte! Für seinen Geschmack war der Mann sowieso viel
zu abergläubisch - wenn man bedachte, dass er der oberste Inquisitor des
Kirchenstaates war …
    Zu seinem
Missvergnügen hatte Bertolli bei der Ankunft feststellen müssen, dass der
Dorfpfarrer just tags zuvor das Zeitliche gesegnet hatte und für eine Befragung
nicht mehr zur Verfügung stand. Unmittelbar nach dem Trauergottesdienst hatte
man ihn zu einer Todkranken gerufen, die sich schnell als jene gottlose Hexe
Serafina La Tedesca entpuppt hatte.
    Er hatte ihr
die Sterbesakramente verweigert, sollte das alte Weib ruhig zur Hölle fahren.
Er hatte sie auch ein wenig geschüttelt, doch sie hatte ihr Schandmaul nicht
aufgemacht. Er war schon halb zur Tür hinaus, als sich diese angebliche
Prophetin plötzlich aufbäumte und Ganganelli und die heilige Mutter Kirche mit
gotteslästerlichen Worten verhöhnte!
    Eines war
sicher: Diese Prophezeiung würde Ganganelli so gar nicht schmecken. Doch
was diese Hexe konnte, konnte er schon lange: Er würde Ganganelli ganz einfach
auch nur das erzählen, was er gerne hören wollen würde! Aber es musste etwas
sein, das auch ihm zum Vorteil gereichen würde ...
    Nun hatte
auch noch der ansässige Graf nach ihm geschickt, um seine beiden Neugeborenen
zu taufen. Die Leute dieser öden Gegend beliebten nach Lust und Laune über ihn
zu verfügen, zu sterben und zu gebären. Dabei, überlegte er, blieb Gottes
Seelenhandel ausgeglichen: Eine Seele für den Himmel, der Dorfpfarrer, eine
Seele für die Hölle, die Hexe, und nun zwei neue Erdenbürger … Ausgerechnet
Zwillinge! Plötzlich hielt Bertolli mitten im Schritt inne, ein Geistesblitz
hatte ihn getroffen. Aber das war es! Nun wusste er, wie er den Wortlaut
der Prophezeiung zu seinem Vorteil umdeuten konnte.
    Zunächst
würde er Graf Abelardo di Stefano die angeblichen letzten Worte der Seherin
zutragen. Schließlich würde seiner Prophezeiung erst durch weitere
Mitwisser eine Bedeutung zuteil werden!
     
    Pater Bertollis abgewandelte Prophezeiung entwickelte sehr bald
ein munteres Eigenleben. Sie stieg mit ihm ins Tal, verbreitete sich dort und
er selbst nahm sie mit nach Rom. Betroffene und Nicht-Betroffene
interpretierten sie sodann nach Belieben und Präferenzen und forderten damit ahnungslos
das Schicksal heraus...
    Ohne es
beabsichtigt zu haben, hatte Bertolli damit das erste Steinchen ins Getriebe
der Kirchenmacht geworfen.
    Es setzte
sich im Mahlwerk fest und begann sein schleichendes Werk.

I
    Rom, 1764
     
    „ Hinfort
mit Euch! Aus meinen Augen. Und wagt es ja nicht, Euch jemals wieder innerhalb
dieser Mauern blicken zu lassen! Niemals zuvor in meinem Leben wurde ich
schlimmer enttäuscht! Ihr seid eine Schande für unseren Stand! Schert Euch weg!
Hinaus, hinaus …!“
    Die Stimme
des Mannes, die durch die spaltbreit geöffnete Tür drang, überschlug sich fast
in ihrem Zorn. Es folgten schnelle Trippelschritte und dann schoss ein ungemein
fetter Pater durch die Tür in das Vorzimmer. Die Augen vor Entsetzen geweitet,
nahm er den jungen Mann nicht wahr, der sich dort an einem Kohlebecken die
Hände wärmte. Mit einem erstickten Schluchzen stürzte er an ihm vorbei.
    Betroffen
blickte der fremde Besucher ihm hinterher. Wenn er sich nicht irrte, war er
eben Zeuge des Rauswurfs des ersten Assistenten des Pater General geworden. Was
sollte er jetzt tun? Sich selbst anmelden? Sein Auftrag war
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