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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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beträchtlich, weil sie es auch anderen beibrachte, da erzählte er herum, er habe alles mit ihr machen können, sie sei so eine, mannstoll, würde ewig den Männern nachstellen, jungen wie alten, er sparte nicht mit Einzelheiten. Wenig später wurde sie schwanger, da brach für den Alten alles zusammen.
    Schwanger, sagt der Junge.
    Ja, mit Salvör, antwortet sie. Von einem Bauernsohn, dem sie das Schwimmen beigebracht hatte. Er sah so gut aus, wie ein Mann überhaupt aussehen kann. Starke, verlässliche Arme, weiche Stimme, klare Worte. Zuerst wollte er sich natürlich zu dem Kind bekennen, aber das war, bevor er mit seinen Eltern gesprochen hatte. Danach stritt er alles ab. Da stellte sich dann heraus, dass er überhaupt nicht stark war. Männer glauben immer, es reiche, dicke Arme und starke Worte zu haben, um sich stark zu nennen. Sie verlor ihre Stellung, und man schickte sie in den Norden nach Sléttueyri, weit genug weg.
    Aber das alles war es mir wert, die ganze Hölle, den Verrat, vergiftete Worte, die Demütigungen, denn ohne Salvör gäbe es kein Leben.
    Und sonst wärst du ertrunken.
    Sie hatte ihm die Briefe geschrieben, ohne sich das wirklich vorgenommen zu haben. Vielleicht hatte sie ihn angeschrieben, um zu sehen, ob er sich traute, zu antworten, oder, mit anderen Worten, ob er sich traute, zu kommen. Darum war sie auch mehrmals am Tag aus dem Haus gegangen, um nach ihm Ausschau zu halten, trotz Þórdís’ Vorwürfen und Beschimpfungen wegen ihres Herumstreunens. Sie war zum Ufer hinabgegangen und hatte wie eine Idiotin übers Meer gespäht, als erwartete sie jemanden, denn es kam doch niemand, nicht zu ihr. Also ging sie nicht länger zum Ufer hinab, wo sie sämtlichen Blicken preisgegeben war, sondern spazierte nachmittags aus der kleinen Ansiedlung hinaus in den Regen, musste sich eigentlich unerlaubt davonstehlen, aber sie hatte einfach keine Ruhe im Leib, war lange unterwegs, und da sah sie den Kahn, sah, wie Kolbeinn aufstand, erst er, dann der Junge, und dann waren sie beide ins Wasser gefallen. Sie war gesprungen, ohne zu zögern, hatte schon die Oberkleider abgestreift, ehe sie überhaupt daran dachte, und war ebenfalls gesprungen, ohne zu überlegen. Die Gedanken kamen im Sprung: Oh, hoffentlich lande ich nicht auf einem Felsen.
    Es hatte nicht viel gefehlt, sie hatte etwas gestreift, sich aufgeschürft. Es hatte gedauert, bis sie ihn fand. Das Meer ist groß, der Mensch klein, aber dann hörte sie ihn rufen, nicht um Hilfe, sondern mehr, als würde er etwas aufsagen.
    Sind wir in einer Höhle?
    Ja, sagt sie.
    In einer Höhle im Meer.
    Ja, bestätigt sie.
    Und wir kommen hier nicht wieder raus?, fragt der Junge, nachdem er eine Weile auf den Sog des Meeres vor der Höhle gelauscht hat.
    Nein.
    Kannst du nicht schwimmen und Hilfe holen?
    Nicht durch diese Wellen. Sie sind dermaßen hoch hier draußen.
    Du bist einfach von einem hohen Felsen gesprungen?
    Ja.
    Es ist Zwielicht um sie, in der Höhle ist es dunkel, kalt und feucht, und draußen treibt der Wind den Regen auseinander. In Vík machen sie sich jetzt Sorgen, vielleicht stehen Geirþrúður und Helga, vielleich sogar Gvendur am Strand und schauen übers Meer, können aber durch den Regen nichts sehen.
    Sie hockt noch immer vor ihm auf den Fersen, zittert leicht, die Haare nass, überhaupt alles nass. Sie ist von einem Felsen gesprungen und hätte sich um ein Haar auf einer Klippe umgebracht, nur um ihn zu retten. Sie ist täglich aus dem Haus gegangen, manchmal mehrmals am Tag, nur um nach ihm Ausschau zu halten. Was war mit dem Norweger? Was war mit Jens? Diesen großen, kräftigen Männern. Sie zittert. Wenn er sich doch nur trauen würde, den Arm um dieses Mädchen, um diese Frau zu legen. Ansonsten weiß er nicht weiter. Der Geruch des Erbrochenen ist nicht gut, und ihm wird schrecklich kalt. Wie lange dauert es, in einer Höhle im Meer zu sterben?
    Aber Álfheiður hat eine kleine Tochter, und niemand darf seinem Kind wegsterben, das ist das Schlimmste, was passieren kann, und darum sagt er es, dass sie nicht sterben dürfe, dass es verboten sei, zu sterben, wenn man noch ein Kind hat. So drückt er es aus, verboten. Er sagt es vor Kälte schlotternd und auch noch vor etwas anderem, für das wir, dieses Etwas kurz vor dem endgültigen Verstummen, keine Worte mehr haben. Da blickt sie auf, schaut ihn an.
    Die Kotze riecht nicht besonders angenehm, sagt sie.
    Er: Nein.
    Sie: Du musst aber gestern etwas Gutes gegessen haben.
    Er:
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